nd-aktuell.de / 07.10.1998 / Politik / Seite 3

Der einen Not...

»Betreuung« für Reisende Von Wolfgang Pomrehn

Experten aus 25 Ländern Europas und Asiens haben am Dienstag in London Beratungen über den Kampf gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern begonnen. Bei ihrem dreitägigen Treffen geht es vor allem um praktische Schritte gegen den Sextourismus nach Asien.

Tourismus, das ist hier mehr oder weniger Sextourismus.« Carla Mörtel arbeitet im philippinischen Manila im Vorstand der Kilusan ng Manggaggawang Karabaihan (KMK), der Arbeiterinnenbewegung, und kennt die Not, die Frauen zur Prostitution treibt.

Der Augenschein bestätigt es. Kein grö-ßeres Tourismusprojekt auf den Philippinen, in dem die Sexindustrie nicht boomen würde. Das Gewerbe hat schon Tradition. »Kunden« waren zuerst Soldaten von den inzwischen geschlossenen USA-Stützpunkten, später japanische Geschäftsleute, die zu Hause ein Paket mit »Betreuung« gebucht hatten. Die Europäer kamen zuletzt. Aber mittlerweile hat es sich sogar bis zu den Rucksacktouristen rumgesprochen, daß man auf den Philippinen billig bekommt, was man zu Hause nie wagen würde.

Bittere Armut treibt die Frauen in die Prostitution. Derzeit gibt es 400 000 registrierte Prostituierte auf den Philippinen. Dazu kommen Zehntausende von »Freiberuflerinnen« und etwa 100 000 Kinderprostituierte.

Der Druck ist stark, denn Arbeitsplätze sind rar. Nur wer Glück hat, findet auf den Philippinen eine Stelle in einer »Sonderwirtschaftszone« - mit Zeitvertrag. Laut Gesetz dürfen Zeitverträge über höchstens sechs Monate laufen, danach muß verlängert werden. Nicht selten sind Frauen gezwungen, sich dafür bei ihrem Vorgesetzten zu prostituieren, wie KMK-Sprecherin Carla Mörtel berichtet. Schon seit 1996 wird bei den Multis in den Freihandelszonen entlassen, die gegenwärtige Krise verstärkt diesen Trend.

Auch die exportorientierte Agrarindustrie setzt Arbeiterinnen vor die Tür Grund: fallende Weltmarktpreise für Zukker und Gummi. Die Vertreibung von Bauern zugunsten des Anbaus von Schnittblumen oder der Anlage von Touristenzentren und Golfplätzen vergrößert das Arbeitslosenheer weiter

Die Behörden profitieren indessen von der Sexindustrie. Bordell-Lizenzen füllen ihre Kassen, und die Regierung ist froh über jeden Touristen-Dollar 2,7 Milliarden US-Dollar waren es 1996. Der frühere Parlamentssprecher Jose de Venecia: »Laßt uns die Tourismusindustrie ankurbeln, um die negativen Effekte der Währungskrise zu minimieren.«