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Doppelbödiges Recht Ermittlungsverfahren zur Tötung von Rudi Arnstadt erneut eingestellt Von Dr. Hans-Herbert Nehmer

  • Lesedauer: 3 Min.

Wie im »Neuen Deutschland« berichtet wurde, hat die Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung e. V. (GRH) Rechtsanwälte beauftragt, in Vertretung der Angehörigen von getöteten Grenzern der DDR darauf hinzuwirken, daß die vor Gericht gestellt werden, die dafür verantwortlich sind. Nachdem in der Sache Egon Schultz kein Fortschritt erkennbar war, wurde 1997 Anzeige gegen die BGS-Beamten Meißner und andere erstattet, die am 14. August 1962 Hauptmann Rudi Arnstadt getötet haben.

Was war geschehen? BGS-Hauptmann Meißner und seine Begleiter Plüschke und Koch sollten um die Mittagszeit an der Staatsgrenze - genannt Demarkationslinie - im Bereich Wiesenfeld (Thüringen) am weiteren bewaffneten Eindringen in das Territorium der DDR gehindert werden. Hauptmann Arnstadt rief die Grenzverletzer an: »Stehen bleiben, Sie sind verhaftet!« Gleichzeitig zog er seine Dienstpistole, um seine Warnung zu unterstreichen.

Ob Arnstadt oder sein Begleiter Roßner einen deutlich erkennbaren Warnschuß abgab, wurde nicht geklärt und ist recht-

lich ohne Belang. Anstatt der Aufforderung der DDR-Grenzer nachzukommen oder wenigstens umzukehren, war die Situation für den BGS-Beamten Plüschke Anlaß, sofort einen gezielten tödlichen Schuß auf Rudi Armstadt abzugeben. Auch Koch beschoß die DDR-Grenzer, ohne zu treffen. Soweit der eindeutige Sachverhalt, wie er damals und heute - auch seitens der Staatsanwaltschaft Fulda festgestellt worden ist.

Nachdem zunächst monatelang die Zuständigkeit hin und her geschoben wurde, teilte die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Fulda am 7 4.1998 Rechtsanwalt Dr Osterloh mit, daß sie die Sache jetzt übernommen habe. Aber schon am 6. 5. 1998 wurde das Ermittlungsverfahren von Oberstaatsanwalt Schneider eingestellt, weil sich »das Ermittlungsergebnis nicht anders dar (stellt), als in der seinerzeitigen Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Fulda vom 08.10. 1962«.

Seitens der BGS-Beamten sei keine Straftat begangen worden. Das Opfer Hauptmann Rudi Armstadt war der Täter, wie aus der Begründung ersichtlich: »Die Angriffshandlung des sowjetzonalen Grenztrupp-Offiziers war deshalb nicht ihrerseits durch Notwehr geboten, sondern stellt sich ganz eindeutig als rechts-

widriger versuchter Totschlag dar Grenzoberjäger Plüschke war verpflichtet, den seinem Streifenführer drohenden Angriff abzuwenden ... Sowohl Plüschke, der den tödlichen Schuß auf Arnstadt zur Verteidigung des Hauptmanns Meißner abgegeben hat, als auch Koch, der zwei ungezielte Schüsse in Richtung Roßners nach dessen Feuerstoß zum Schütze des Plüschke abgab, konnten bzw können sich auf Notwehr berufen.«

Das war im Kalten Krieg so, und das bleibt auch heute so! Grenzverletzer hatten und haben das »Recht« auf ihrer Seite, die Grenzer der DDR waren und bleiben Freiwild. Anderes läßt diese weitere Weigerung, auch getöteten Grenzern der DDR Gerechtigkeit zukommen zu lassen, nicht erkennen. Es gehört schon eine gehörige Portion Mißachtung des Rechts dazu, einen so eindeutigen Sachverhalt derart umzudeuten, daß aus einem Verteidiger seines Staates ein Angreifer wird. Was daran »Rechtsstaat« ist, kann wohl kaum glaubhaft gemacht werden, den Angehörigen der Opfer schon gar nicht.

Der Autor ist Mitglied des Vorstandes der Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung e. V. (GRH), Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Spendenkonto: 37105732 - BLZ 10090000 - Berliner Volksbank

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