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  • Politik
  • Kammermusik-Zyklen bei den 48. Berliner Festwochen

Kunst der kleinen Form

  • Liesel Markowski
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Berliner Festwochen hatten die Musikstadt Wien in ihren Mittelpunkt gestellt. Wer geglaubt hatte, es würde nur eine unendliche Folge von Vielgehörtem geboten, wurde auf angenehme Weise überrascht. Das Programm schaffte hinreichend Gelegenheit zu Entdeckungen, so auch die Kammermusik-Zyklen. Wie in einem Vergrößerungsglas wurde die Werktotale einer Gattung einsichtig gemacht. Daß dies interessanter und wirksamer ist als repräsentative Pflicht- und Kassenübungen mit Vielgespieltem, haben die Festwochen-Initiatoren erfolgreich bewiesen. Das gilt auch für die nur scheinbar sattsam gewohnten drei Klassiker Haydn, Mozart, Beethoven. Vom Publikum wurde das dankbar angenommen. Schade nur, daß sich die Konzertbesucher eher von Kammermusik-Stars anlocken lassen als von Newcomern, obwohl diese durch ihre interessante Programmgestaltung besondere Aufmerksamkeit verdienten.

Alle Quintette von Mozart, die für Streicher wie die für Bläser, (wann sind sie schon in Gänze zu hören?) gab es in vier Folgen. Welche Köstlichkeiten diese Musiken sind, konnte man am Abend des um einen Bratscher verstärkten Zehetmair-Quartetts erleben. So beim konzertanten Es-Dur-Stück (KV 407) mit der ausgezeichneten jungen Hornsolistin Marie Luise Neunecker und dem traumhaft musizierten tragischen g-Moll-Quintett für Streicher (KV 516). Hier wurde eine Klangwelt von erhabener und doch stets leichtfüßiger Schönheit ausgebreitet.

Noch umfangreicher und gewichtiger war die zweite »Festwochen-Ausnahme« der Kammermusik. Beethovens Streichquartette, geboten in sechs Folgen. Sechs Formationen aus Österreich, Deutschland und den USA. das Wiener Alban Berg Quartett, das Berliner Vogler Quartett, das Petersen Quartett aus Berlin und Leipzig, das Vermeer und das Guarneri Quartett sowie das Emerson String Quartet aus den USA. Sie alle brillierten mit einem Zusammenspiel allererster Güte.

Das Aufregende: In den sechs Programmfolgen stieß jeweils Kontrastvolles

aus den verschiedenen Schaffensepochen Beethovens aufeinander Seine wohl intimste kompositorische Subjektivität im gesamten Zyklus wurde eindrucksvoll nahegebracht. Nicht als chronologische Folge, doch von den auf Haydn und Mozart fußenden sechs Stücken des Opus 18 über das weitergreifende kühne, dem russischen Grafen Rasumowski gewidmete Opus 59 bis hin zum späten Schaffen (Opus 127,130 bis 135), das jegliche Konventionen sprengt und im Geist der 9 Sinfonie entstand.

Hervorragendes, flexibles Spiel der verschiedenen Ensembles, ihre eigenwertigen Interpretationen, vor allem aber das Offenlegen der strukturellen Geheimnisse und Schönheiten Beethovenscher Quartettkunst wurden zum nachdrücklichen Erlebnis. Der intensive, fein ausgewogene Dialog - »con molto di sentimento« (op. 59/2) -mit dem Alban Berg Quartett oder das geradlinig schlanke und biegsame, eher nüchterne Musizieren der Voglers standen neben dem dichten, präzis abgestimmten Spiel des Petersen Quartetts. Dieses Ensemble spielte an einem anderen Abend in ansprechender weicher Klangkultur nie Gehörtes von den Österreichern Zemlinsky, Webern und Kreisler.

Von den Amerikanern beeindruckte am meisten das faszinierende Abschlußkonzert des Emerson String Quartets. Das sind Musiker von frappierender Sensibilität und traumwandlerischer Sicherheit. Ihr Spiel funktioniert wie von selbst und ist doch von strenger Konzentration und tiefgründiger Geistigkeit. Ihre Wiedergabe des düster tragischen f-Moll-Werkes (op. 95) ging' unter die Haut, leidenschaftliche Kraft, bis zum Bersten gesteigert, ein instrumentales Drama. Das war Beethovensche Musik in interpretatorischen Dimensionen, wie man sie selten 7.u hören bekommt. Ebenso das unvergeßliche Finale; Das a-Moll-Stück (op. 132) als ergreifende Klage und Hoffnung. Das unendlich zart erklingende »Molto Adagio« mit dem archaischen »Heiligen Dankgesang eines Genesenden an die Gottheit« wirkte wie ein Credo Beethovenscher Quartettkunst. Bekenntnis zu Würde und Universalität des Menschlichen.

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