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»Uns wird ein Stempel aufgedrückt«

Die Kugelstoßerin zur neuen Mutterrolle, zu ihrem Comeback und zur Dopingdebatte

  • Lesedauer: 6 Min.

Schwangerschaft hätte ich gern noch weitaus länger trainiert, aber da bremsten mich die Ärzte.

? Haben Sie inzwischen wieder Ihr früheres Gewicht?

Die 28jährige Astrid Kumbernuss (Foto: dpa), in Grevesmühlen gebürtig und für den SC Neubrandenburg startend, hat im Kugelstoßring alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt: Olympiasiegerin 1996, Weltmeisterin 1995 und 1997, Europameisterin 1990, siebenmal deutsche Meisterin. 1997 war sie zu »Europas Leichtathletin« und zur »Sportlerin des Jahres« gekürt worden. Danach wurde es still um sie - aus plausiblem Grund: Am 7 Juli wurde die gelernte Einzelhandelskauffrau, die mit ihrem Trainer und Lebensgefährten Dieter Kollark (53) zusammenlebt, Mutter ihres Sohnes Philip.

? Wie fühlt sich die junge Mutter?

Es ist eine drastische Umstellung, aber ich bin rundherum happy Das Kind ist gesund und putzmunter

? »Windeln waschen und das Lächeln meines Sohnes«, so wurden Sie in einer Boulevardzeitung zitiert, »sind mir wichtiger als alle Goldmedaillen.«

Das ist falsch zitiert und außerdem ein blödsinniger Vergleich. Ich liebe mein Kind über alles, aber ich hänge auch am Sport und bin mit Leib und Seele Leichtathletin. Meine Medaillengewinne bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen sind was Einmaliges. Da hängen Freud, Leid, Schmerz und Entbehrung dran. Das alles kann man aber nicht mit der Geburt eines Kindes vergleichen.

? Aber von einem neuen Lebenssinn würden Sie sprechen?

Mein Leben hat eine neue Dimension erhalten. Aber ich war schon früher kein Typ, der von heute auf morgen \ebt, sondern einer, der stets weiter vorausschauen wollte, sportlich, beruflich und familiär Was immer ich künftig im Sport erreichen werde - ich tue das jetzt auch für mein Kind.

? Wohnen Sie noch in Ihrer Einraumwohnung in Neubrandenburg, oder sind Sie schon ins neue Haus umgezogen?

Das mit dem Haus gestaltet sich alles schwieriger als angenommen. Das Haus ist im Kopf fertig, aber die ganze Grundstücksfrage ist noch ungeklärt. Aber wir wollen nichts überstürzen. Ich hoffe, daß 1 wir im nächsten Frühjahr klarer sehen. Daß wir nun zu dritt in einer Einraumwohnung, die uns als »Weltenbummler« früher genügte, zurechtkommen müssen, ist auch eine Frage der Organisation. Aber ich bin es gewohnt, mit weniger idealen Umständen fertig zu werden. Im übrigen bin ich auch in einer solchen engen Wohnung groß geworden, und es hat mir nicht geschadet.

? Ist inzwischen die Lust auf Training und Wettkämpfe schon wieder da?

Die Lust daran hatte ich nie verloren, und mir fehlt momentan auch diese körperliche Belastung. Auch während der

In vier, fünf Wochen werde ich wieder so um die 90 Kilo auf die Waage bringen.

? Früher haben Sie das Kochen Ihrem Lebensgefährten überlassen. Und jetzt?

Dieter kocht nach wie vor Natürlich kann ich auch kochen, aber so ist halt unsere Rollenverteilung zu Hause. Dafür erledige ich andere häusliche Dinge. Wir führen eine moderne Partnerschaft.

? Wie läuft Ihr Sportfachgeschäft in Neubrandenburg?

Wie der Trend so allgemein im Osten ist. mal so, mal so. Zufrieden? Jein.

? Kommen wir auf Ihr Comeback zu sprechen. Bleibt es bei der geplanten Rückkehr im November?

Offen gestanden: Ich bin schon sehr ungeduldig und werde vermutlich Mitte November wieder einsteigen. Und wenn danach alles planmäßig läuft, könnte es im Winter zum ersten Wettkampf kommen. Mein ganzes Trachten zielt auf die langfristige Vorbereitung für die Olympischen Spiele im Jahr 2000 in Sydney ab. Und mittendrin liegt die Weltmeisterschaft 1999 in Sevilla. Da möchte ich nicht durchgereicht werden.

? Gehen Ihnen schon bestimmte Erwartungen über Weiten durch den Kopf?

Über irgendwelche Weiten denke ich jetzt noch nicht nach. Aber eines ist klar-Ich habe meine ärgste Konkurrentin Viktoria Pawlitsch aus der Ukraine im Kopf, die während meiner Abwesenheit mit 21,69 Metern Europameisterin wurde. Da will ich auch wieder hin.

? Wann nahmen Sie zum letzten Male die Kugel in die Hand?

Vier Wochen nach der Entbindung, Es

war, ehrlich gesagt, wie ein Alptraum. Das hätte ich nicht für möglich gehalten.

? Anfang Dezember vor einem Jahr unterschrieben Sie einen Einjahresvertrag bei Ihrem Heimatklub SC Neubrandenburg. Die Frist läuft ab. Was wird nun?

Eine schwierige Frage. Es sieht momentan schlecht aus für den Klub, so daß es durchaus möglich ist, daß ich meinen Vertrag kündige. Ich hoffe aber, daß es nicht zu einem Vereinswechsel kommt.

? In der Dopingdebatte haben Sie sich wiederholt kritisch geäußert und die Art der Aufarbeitung beklagt. Worin besteht denn Ihre größte Kritik?

Ich bin ein Mensch, der sehr für Gerechtigkeit eintritt. Die aber ist mir mit dem Blick auf den DDR-Sport in vielen Fällen nicht gewahrt. Uns ehemaligen DDR-Sportlern wird ein Stempel aufgedrückt. Ich muß mich heute noch für meine Erfolge von 1987 rechtfertigen. Diese Art und Weise des Umgangs mit dem Problem, bei dem so getan wird, als habe das nur im DDR-Sport bestanden, führt zu einer neuen Ost-West-Mauer Es besteht doch kein Zweifel, daß auch in Westdeutschland und anderswo gedopt wurde. Aber danach kräht kein Hahn. Deshalb ist mir die sogenannte Aufarbeitung zu einseitig und unfair

? Ihre Kritik richtet sich auch auf das jetzige Dopingkontrollsystem. Warum?

Ich gehöre zu jenen, die ein vereinheitlichtes internationales Kontrollsystem fordern. Es kann nicht sein, daß ich wie 1997 geschehen - bis Mitte des Jahres elfmal kontrolliert werde, davon neunmal unangemeldet im Training. Aber andere Athletinnen, beispielsweise aus der Ukraine oder Bulgarien, wurden gar nicht kontrolliert und türmten aus der Halle, als die Kontrolleure kamen. Das ist ein Unding. Ich bin für strenge Dopingkontrollen weltweit und gegenüber jedermann.

? Sie waren unlängst Ehrengast in Berlin beim Bundesfinale »Jugend trainiert für Olympia«. Sehen Sie in diesem Schulwettbewerb einen Ersatz für die Kinderund Jugendspartakiade zu DDR-Zeiten?

Ich habe viele gute Erinnerungen an die Spartakiade, war gern dabei und froh, daß es die Spartakiade gab. Sie war natürlich viel leistungsorientierter. Genau das ist jedoch der entscheidende Mangel des jetzigen bundesweiten Schulwettbewerbs, der zwar lockerer ist, aber mir fehlt auch in den leichtathletischen Wettbewerben die stärkere Leistungsbezogenheit. Die würde dem gesamten deutschen Nachwuchssport guttun. Hier liegt meines Erachtens einiges im Argen. Leider ist manches aus der vorbildlichen Nachwuchsförderung des DDR-Sportsystems zu schnell und unbedacht abgewickelt worden.

Gespräch: Jürgen Holz

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