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  • Politik
  • 50. Frankfurter Buchmesse: Diskussion mit portugiesischen Autoren über »Kommunist sein heute«

Bestaunte Anhänglichkeit

  • Michael Kegler
  • Lesedauer: 3 Min.

Wir sind- uns wohl alle einig, wir müssen uns nur darüber einig werden, worüber genau wir uns einig sind«, resümierte Portugals prominentester Autor Jose Saramago am Vorabend seiner Auszeichnung mit dem Nobelpreis den Sinn und das Dilemma der Diskussion, zu der an die 200 Zuhörerinnen in den Hindemithsaal der Alten Oper zu Frankfurt gekommen waren. »Kommunist sein heute« lautete das Thema, und neben Saramago saßen mit Urbano Tavares Rodrigues, Mario de Carvalho und der Jugendbuchautorin Alice Vieira höchst prominente Figuren der portugiesischen Literatur auf dem Podium, das im Rahmen einer Veranstaltungsreihe vom portugiesischen Kulturministerium ins Beiprogramm der Buchmesse gepackt worden war.

Doch die unterschiedlichen Erwartungen, die mit der Brisanz des Themas und allein mit dem Stattfinden einer solchen Debatte verknüpft waren, trugen letztlich zu ihrem Scheitern bei. Einig war man

sich in der Beurteilung der eigenen Arbeit, die niemand als »Kommunistische Literatur« verstanden sehen will, und Einigkeit herrschte darüber, daß die kommunistische Idee keineswegs obsolet, sondern gerade in Zeiten des immer brutaler agierenden Kapitalismus als humaner Gegenentwurf höchst aktuell sei. Portugiesen haben es in dieser Hinsicht leicht, denn die PKP kann auf eine ruhmreiche Geschichte des antifaschistischen Widerstands zurückblicken, ist im südportugiesischen Alentejo die entscheidende politische Kraft, und die von ihr seit der Nelkenrevolution verwalteten Kommunen gelten als vorbildlich.

Doch obwohl »es die Faschisten waren, die mich ins Gefängnis geworfen haben, und nicht die Partei, sondern die Regierung seinerzeit meine Bücher zensiert hat« (Urbano Tavares Rodrigues) erstickt die ständig dominante Frage nach den Verbrechen des Stalinismus und dem Zusammenbruch des Realsozialismus jede vernünftige Diskussion über das Heute.

Nur selten flackert, wie bei Tavares Rodrigues, der Versuch einer erneuerten Vision eines radikaldemokratischen Sozialismus auf, und Saramago findet im-

mer neue, sehr zutreffende Bilder dafür, daß der Kapitalismus »inkompatibel« ist mit den Bedürfnissen der Menschheit. Spannender wäre es gewesen, über Saramagos Ablehnung des historischen Optimismus zu diskutieren, dem er als Motivation seines politischen Handelns einen systematischen Pessimismus entgegensetzt, der schließlich auch in seinen Büchern zum Ausdruck kommt.

Auch was im Werk der anderen Autoren, jenseits ihrer begründeten Abwehr gegen Agit-Prop, an Politischem einfließt, wird von dem moderierenden Historiker Rui Rocha übergangen. Ob es nicht doch politisch ist, wenn Urbano Tavares Rodrigues Liebe und Tod als Dominanten seiner Texte benennt, Mario de Carvalho thematisch gern in die Antike zurückgeht und was an kommunistischem Gedankengut schließlich doch in die »unpolitische« Jugendliteratur Alice Vieiras einfließt, wären Fragen gewesen, die man hätte stellen müssen. Die Frage nach der Rolle der Kulturschaffenden im Kampf um eine humane Gesellschaftsordnung hätte sich angeschlossen.

So blieb es zunächst bei einem Abend, an dem, wie Saramago sich ausdrückte, Leute gekommen sind, um portugiesische Autoren zu bestaunen, die der Idee des Kommunismus anhängen. Daß dies in der noblen Alten Oper zu Frankfurt möglich war, ist eine schöne Sache und vielleicht Ermutigung, denn schließlich gibt es auch hierzulande Literaten, die ihre Utopien nicht über Bord geworfen habe.

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