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  • Politik
  • »Die Macht des Alters« - Kunstausstellung in Berlin

Zuletzt war ich mit 94 verliebt

  • Christoph Ruhkamp
  • Lesedauer: 4 Min.

Wann beginnt das Alter? Welchen Sinn hat es? Wie wird man glücklich alt? Fragen, zu denen von der Bonner Stiftung für Kunst und Kultur e.V und dem Familienministerium gebetene 40 Künstler Position beziehen: Unter dem Titel »Die Macht des Alters - Strategien der Meisterschaft« ist ihr Kunst-Gutachten im kürzlich wiedereröffneten Kronprinzenpalais in Berlin Unter den Linden zu besichtigen. Die künstlerische Leitung des Projekts oblag dem Wuppertaler Ästhetik-Professor Bazon Brock. Wenn Künstler sich der Lösung eines Problems widmen, dann tun sie das nicht nur auf andere Art und Weise als Soziologen oder Mediziner Die Probleme sind auch andere. »Künstler«, weiß Brock, »beschäftigen sich immer mit prinzipiell unlösbaren Fragen.«

Der Kunst-Querkopf hat der ansonsten nicht unter einem Schlagwort zu fassenden Schau einen Leitgedanken abgerungen: Was vom Künstler bei Beendigung jedes seiner Werke verlangt werde, nämlich, daß er es auch vollende - diese Aufgabe stellt sich ebenso jedem Menschen mindestens einmal bezüglich seines Lebens, gegen Ende, im Alter Von den Künstlern lernen, heiße also, Altwerden zu lernen, behauptet Brock.

Dazu braucht man unter anderem Zeit. Und die Fähigkeit, Zeit zu schöpfen, besitzen alle Menschen, die sich erinnern können. Erinnerungen stehen potentiell immer zur Verfügung. Doch manchmal sind sie flüchtig. Deshalb versucht man

(zumindest der Künstler), sie mit Worten und Bildern zu fixieren. Um die Erinnerung zu sichern, ist es außerdem sinnvoll, sie möglichst vielen mitzuteilen, die sie weitertragen können. Übertragung von Erinnerung sichert den Älteren den Einfluß auf die Nachlebenden viel stärker als das Vererben von Geld und uns'rer Oma ihr'm klein' Häuschen. Dieser Gedanke scheint allen Beiträgen zur Schau gemein.

Von Erinnerung und Rechenschaft-Ablegen handelt auch der - nicht ganz bierernste - Trickfilm »Die Beichte« von Jochen Kuhn (44). Erich Honecker schüttet darin Karol Wojtyla sein Herz aus: »Es ist 'ne schöne Zeit gewesen, hart, aber schön«. Der päpstliche Segen soll dem mit gespaltener Zunge und belegter Stimme sprechenden Staatsratsvorsitzenden den Weg in den Himmel ebnen.

Märchenhaft schön fotografierte Stefan Moses (70) Personen der Zeitgeschichte in hohem Alter, »Verführung im Wald -Hansel und Gretel werden 80« betitelt er die Arbeiten. Ehemals Mitarbeiter der Zeitschrift »Neue Zeitung« in den 60er Jahren, hat Moses unter anderem den Wissenschaftler Jürgen Kuczynski, den Publizisten Sebastian Haffner und Ex-Bundeskanzler Willy Brandt mitten im finsteren Wald abgelichtet, nur das Hexenhäuschen mit dem großen Ofen, fehlt noch. Der Hintergrund ist ernst: Die Bilder zeigen kultivierte Menschen in der Wildnis - ein Symbol für die Barbarei in der deutschen Geschichte, die sie erlebt haben.

Barbarentum werfen viele Rezensenten auch dem Beitrag des Mediziners Günther von Hagens vor, der schon mit

seiner Mannheimer Ausstellung »Körperwelten« für Streit nicht nur in der Kunstwelt sorgte. Der Erfinder eines Verfahrens der Mumifizierung durch Einspritzen eines Plastinats präpariert Leichen und stellt sie aus. In Berlin treibt von Hagens es nun auf die Spitze. Er hat die Körper von Toten, die ihm ihren Körper zu Lebzeiten vererbt hatten, nach dem Vorbild berühmter Kunstwerke ummodelliert.

Um der erwarteten Empörung offensiv entgegenzutreten, hat von Hagens im Foyer der Ausstellung einen Informationsstand seines Heidelberger »Instituts für Piastination« installiert. Neben detaillierten Informationen zur Piastination erhält man dort auch »Körperspende-

gereicht, verlangt die Entfernung der Exponate oder gar die Schließung der Ausstellung. Ihre Anzeige bei der Staatsanwaltschaft richtet sich gegen die »Verwendung von Menschenleichen zur Herstellung von Kunstobjekten, Betrug an Körperspendern und Mißbrauch der beruflichen Möglichkeiten als Pathologe«. Das Deutsche Historische Museum veranstaltete deshalb gestern abend eine Diskussionsveranstaltung, zu der neben der Klägerin Bergmann der Anatomieprofessor von Hagens sowie Brock und der Autor verschiedener Publikationen zum Thema Ethik und Menschenwürde, Axel W Bauer, geladen waren.

Von heiterer Problemlosigkeit scheint da Herbert Achternbuschs (60) Gemälde von der »Jungen Liebe«. »Zuletzt war ich mit 94 verliebt und jetzt schon wieder«, beschwert sich - mit erigiertem Zipfel ein Greis. Im Interview bekennt der Maler denn auch auf den Einwurf, die Gene zwängen den Körper, in einem bestimmten Alter abzubauen: »Du setzt voraus, daß ich an die Gene glaube. Ich glaube an die Gene nicht.«

Wer also wissenschaftliche Antworten auf Fragen des demographischen Wandels oder der Medizin etc. sucht, sollte die Ausstellung meiden. Sie bietet mehr Fragen als Antworten. Soviel steht fest.

Beherbergt werden die Werke vom Kronprinzenpalais, als Außenquartier des Deutschen Historischen Museums. Das Palais hatte schon nach der Enteignung der Fürsten 1919 der Nationalgalerie als Außenstelle gedient. Bis zum Bildersturm der Nazis 1937 wurde hier die »Kunst der Lebenden« gezeigt - unter anderem Max Beckmann, Franz Marc und Lovis Corinth. Auf seine alten Tage darf das Haus nun wieder diesem ehrenhaften Zweck dienen. Es strebt sozusagen seiner Vollendung zu.

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