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  • Politik
  • Jürgen Lodemann: »Muttermord« und doch kein Krimi

Ein kapitales Erbe

  • Sybille Walter
  • Lesedauer: 2 Min.

Einen Kriminalfall erzählt Jürgen Lodemann nicht: Wenn der Geschäftsmann Bruno am Ende dieses Romans seiner Mutter den Mund für immer verschließt, dann hat er zunächst jene Auseinandersetzung beendet, die ihn 27 Jahre zuvor das Elternhaus verlassen ließ: Der 23jährige entdeckte Anfang der 60er Jahre, daß dieses Haus bis 1938 der jüdischen Familie Rosengarten gehört hatte und im Zusammenhang mit deren überstürzter Flucht aus Deutschland in den Besitz des Vaters gekommen war

Und er fand heraus, daß Vater und Großvater Geschäfte mit Schweizer Banken machten, die jüdische Bürger um ihr Geld betrogen. Geschäfte, nach denen in der heiteren, gepflegten Atmosphäre daheim nicht gefragt werden durfte. Der Mensch nämlich, so hatte es vor allem die Mutter dem Jungen immer wieder nahegelegt, sei hilfreich und gut. Er lerne dienen und fahre später den Lohn hierfür ein. Sie selbst diente zeitlebens-zunächst der Kunst, dann den Geschäften des Gatten und den beiden Söhnen.

Jürgen Lodemann läßt Mutter und Sohn am Vorabend des 80. Geburtstages der alten Dame aufeinander treffen. Im Gespräch spürt der Sohn zwingend und drängend alten Verletzungen, alten Lügen nach, zwingt die Mutter zum Einge-

ständnis von Versäumnissen und Schuld, setzt ihr mehr und mehr zu. Uneigennützig ist sein Gebaren nicht: Inzwischen ist er selbst als Geschäftsmann erfolgreich, handelt offenbar mit Waffen, braucht das Elternhaus als Lager, die Mutter stört. Da er sie nicht aus dem Haus bringen kann, bringt er sie um.

Der Roman ist eine Abrechnung mit den Eliten von einst und mit denen von heute. Alles, was der Sohn den Eltern vorwirft, ist richtig. Die Mutter hat keine Chance. Was auch immer sie an Auskünften oder Ausflüchten einwendet, reduziert der Sohn auf die Fakten: Vater und Großvater hatten nichts anderes im Sinn, als Geld zu verdienen, sie hat dies gesehen, hat es konsequent übersehen. Der Sohn erweist sich als würdiger Erbe. Bruno ist mit EuroTransfair in der Tradition angekommen, ein Mord mehr oder weniger gehört zum Geschäft.

Und hier ist die Schwachstelle des Romans. Der Autor erzählt nirgendwo, was einstige Empörung in Teilnahme am Geschäft umschlagen ließ. Im zweitägigen peinigenden Zwiegespräch führt er aber bürgerliche Geisteshaltung rigoros ad absurdum. Der Richter ist der Mörder und bestätigt durch seine Tat: Der Schoß ist fruchtbar noch, der 50 Jahre zuvor Vernichtung in die Welt setzte.

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