Den Raum dominieren sechs große Schwarz-Weiß-Fotos: Porträts von Frauen in Charmeuse-Unterröcken auf Bettkanten, sonst aber sind sie ziemlich nackt. Sie scheinen dem literarischen Kleinkosmos von Anne Sexton oder Dorothy Parker entsprungen. Wenn sie lesen, dann wohl eher Frauenzeitschriften ...
»Frauen in der Literatur - Literatur von Frauen« - zu diesem Thema gibt es im Literaturforum im Brecht-Haus der-
zeit eine ganze Veranstaltungsreihe. Schreiben Frauen anders? wird gefragt. Werden Frauen anders gelesen? »Gibt die Geschlechterzugehörigkeit bestimmte Rezeptionssignale vor?« Diese Frage wird zum Beispiel am Donnerstagabend diskutiert. In einer anderen Runde am Freitag wollen die Autorinnen Katja Lange-Müller, Friederike Kretzen, Sabine Peters und Marlene Streeruwitz über Weiblichkeit als Thema ihres Schreibens debattieren.
Schon die erste Veranstaltung machte die große Kluft zwischen dem weiblichakademischen Lehrbetrieb und dem Schreiben von Frauen deutlich. Die Ger-
manistin Inge Stephan (HU Berlin) und die Romanistin Margarete Zimmermann (FU Berlin) stellten das gerade erschienene »Metzler Autorinnen Lexikon« vor Kerstin Hensel las drei kleine Prosastükke. So ergaben sich eigentlich zwei heraldische Veranstaltungsblöcke-. Auf der einen Seite die Professorinnen mit dem ganzen Wust feministischer (vor allem amerikanischer und westdeutscher) Forschungen der 70er und 80er Jahre, auf der anderen Seite die völlig unakademische Kerstin Hensel.
Die ganze Veranstaltung glich großenteils einer akademischen Lehrstunde für das vor allem junge Frauenpublikum. Das
neue Lexikon ist ja gewiß auch zu empfehlen. In 400 (von 4000) sorgfältig ausgewählten Porträts wird die Vielfalt weiblichen Schreibens seit Jahrhunderten und aus aller Welt dargestellt. Solch ein Handbuch gab es bisher in Deutschland noch nicht, es ist eigentlich schon lange überfällig.
Die Auswahl war nicht einfach, wie die Zuhörer im Brecht-Haus erfuhren. Bei Erauenliteratur aus der Zeit des Nationalsozialismus wurden beispielsweise ganz bewußt Gertrud von le Ford und Ina Seidel weggelassen, dafür ist die schwierige Persönlichkeit Elisabeth Langgässers dargestellt. Anhand ihres Werkes geht es um das Schreiben während des Faschismus überhaupt. Natürlich war die Auswahl aus neun Jahrhunderten europäischer Schreibtradition schwieriger als die aus der jungen afrikanischen Literatur Israel oder China haben sehr viele schreibende Frauen, Usbekistan hat überhaupt nur eine. Aufgenommen wurden nur Autorinnen, deren Texte auch in Deutschland zugänglich sind, das Übergewicht liegt bei Gegenwartsautorinnen. So entstand ein gutes Arbeitsbuch, besonders auch für Studentinnen.
Die füllten hauptsächlich das Literaturforum und konnten dann Kerstin Hensels skurrile Frauentexte hören: Der beste erzählt die kurze Geschichte von einem Hexensabbat in märkischer Kleinstadt, ein modernes grausiges Undine-Märchen. »Feministische Programme verfolge ich nicht«, sagt die Autorin lakonisch.
Weitere Veranstaltungen dieser Reihe beschäftigen sich mit Autorinnen des Mittelalters und mit Gedichten von Frauen des 17 Jahrhunderts, mit Modellen zur Geschlechterordung und mit weiblichen Sehnsuchtsausbrüchen.
Was nehmen junge Frauen heute von einer solchen Veranstaltungsreihe mit? Die wenigsten von ihnen werden später einsam auf Bettkanten hocken, noch weniger werden Literatur-Professorinnen. Die meisten müssen sich noch oder sogar wieder stärker mit den traditionellen Rollen auseinandersetzen. Manche werden auch schreiben. Frauen-Literatur hat aber immer noch das Primat vor Frauenforschung. Wenn das hier deutlich wird, dann leistet die Reihe schon einiges.
Metzler Autorinnen Lexikon. 617 S., geb., 68 DM.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/740033.was-ist-das-weibliches-schreiben.html