nd-aktuell.de / 11.01.1999 / Politik / Seite 2

Späte Rache

Fikret Abdic (58),

früher Mitglied des bosnischen Staatspräsidiums und Chef des »Autonomen Gebiets Westbosnien«, soll wegen »Kriegsverbrechen« vor ein bosnisches Gericht.

Foto: Reuters

»Babo« (Väterchen) wird Fikret Abdic von seinen Anhängern genannt. 1991 hatte er als eigentlicher Wahlsieger den Vorsitz im Staatspräsidium von Bosnien und Herzegowina seinem Landsmann Alija Izetbegovic überlassen. Abdic zog

es vor, Generaldirektor des mächtigen Konzerns »Agrokomerc« in Velika Kladusa zu bleiben.

Obwohl selbst Moslem, war Abdic mit dem Islamisierungskurs von Izetbegovic nicht einverstanden. Die Differenzen verschärften sich mit Ausbruch des Bürgerkrieges 1992, weil Abdic die militärische Lösung ablehnte und an die Möglichkeit gleichberechtigten Zusammenlebens von Moslems, Serben und Kroaten glaubte. 199? proklamierte er mit seinen Anhängern in Abgrenzung von der Moslem-Führung in Sarajevo ein »Autonomes Gebiet Westbosnien« und schloß Frieden mit Serben und Kroaten. Ein offenes Geheimnis war, daß UN- und EU-Vermittler zumindest Sympathie dafür empfanden. Izetbegovic dagegen schickte seine Armee gegen die »eigenen Leute« aus. Berichte über Grausamkeiten gegen die »Abtrünnigen« machten die Runde. Nach der militärischen Niederlage Abdics im August 1994 flohen mehr als 40 000 Moslems vor Izetbegovics Truppen nach Kroatien. Während Abdic kroatischer Staatsbürger wurde, lebten die Flüchtlinge lange Zeit unter unmenschlichen Bedingungen im Grenzgebiet.

Bisher hat das Tribunal in den Haag noch jedes Verfahren gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher aus dem früheren Jugoslawien an sich zu ziehen versucht. Erstaunlicherweise stimmte es jetzt zu, daß Abdic der Prozeß in Bosnien gemacht wird. Ist »Babo« eine zu heiße Kartoffel? Könnten seine Aussagen über die Rolle der »internationale Gemeinschaft« in Bosnien manchem unangenehm werden?

Die Führung in Sarajevo betrachtet Abdic, der 1996 einem Attentatsversuch entging, offenbar immer noch als Gefahr Mit seiner in Mostar gegründeten Demokratischen Volksgemeinschaft (DNZ) beteiligte er sich an den bosnischen Wahlen im September 1998 und kandidierte wieder für das Staatspräsidium. Da die OSZE nicht für seine Sicherheit garantieren konnte, nahm er allerdings nicht persönlich am Wahlkampf teil. Zugelassen hatte die OSZE die Kandidatur jedoch.

Nun will Sarajevo den Rivalen durch einen zweifelhaften Prozeß wegen »Kriegsverbrechen« ausschalten. Nur lebt Abdic in Opatija (Kroatien), und Zagreb liefert kroatische Staatsbürger nicht aus. Marko Winter