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Die Niederlande: Jobwunder oder Unternehmerparadies? Von Wolfgang Pomrehn

  • Lesedauer: 3 Min.

Die Niederlande gelten hierzulande manchem als Vorbild einer erfolgreichen Beschäftigungspolitik. Mit nur vier Prozent betrug die Arbeitslosenrate 1998 weniger als die Hälfte dessen, was östlich der Ems die Arbeitsämter registrierten. In einigen Sektoren scheint sich sogar schon Arbeitskräftemangel bemerkbar zu machen. Zumindest mehren sich Berichte, nach denen die Zahl derjenigen steigt, die aus dem westlichen Ruhrgebiet und anderen grenznahen Regionen in das Nachbarland zur Arbeit pendeln. Was hinter diesem »Jobwunder« steckt, versuchte ND im Gespräch mit Johan van den Hout von der Sozialistischen Partei der Niederlande zu ergründen.

Zunächst, so van den Hout, müsse man wissen, daß die Politiker sehr kreativ mit der Statistik umgehen. Wer älter als 57 ist, werde z.B. nicht mehr als arbeitssuchend geführt. Genausowenig Menschen, die Teilzeit unter 20 Stunden arbeiten wollen. Außerdem wurde vor fünf Jahren ein spezielles Programm für Langzeitarbeitslose eingeführt, das sehr an die sogenannte gemeinnützige Arbeit erinnert, in die in Deutschland in manchen Kommunen Sozialhilfeempfänger gezwungen werden: Wer drei Jahre oder länger arbeitslos ist, kann von seinem früheren Arbeitgeber wieder eingestellt werden, wofür dieser staatliche Unterstützung bekommt. Lohn bzw. Gehalt entsprechen dem vorher bezogenen Arbeitslosengeld. Vor allem Städte und Gemeinden sowie staatliche Unternehmen machen von dieser Regelung Gebrauch.

Die Beschäftigten, so van den Hout, haben keine gewerkschaftlichen Rechte mehr und verrichten Arbeiten, die in den

Achtzigern noch regulär tariflich bezahlt wurden. Außerdem ist es eine Sackgasse: Die Betroffenen haben kaum Chancen, in reguläre Beschäftigungsverhältnisse zu kommen, und wenn es mit der Wirtschaft wieder bergab gehe, seien sie die ersten, die auf die Straße fliegen.

1982 haben sich Unternehmer und Gewerkschaften auf das sogenannte Polder-Modell geeinigt. In den Lohnauseinandersetzungen sollte sich künftig zurückgehalten werden. Die Wirtschaft versprach im Gegenzug, für mehr Arbeitsplätze und verbesserte Fortbildung zu sorgen. »Was aber passierte«, so der Politiker, »war, daß die Arbeiterbewegung in der Lohnfrage zwar ruhig blieb, aber es dennoch keine zusätzlichen Jobs gab. Auch in Sachen Weiterbildung tat sich so gut wie nichts«. Bemerkbar habe sich diese Politik auch in der Frage der Arbeitszeitverkürzunggemacht. In den meisten Branchen wird mittlerweile zwischen 36 und 38 Stunden in der Woche gearbeitet, aber Neueinstellungen habe es praktisch nicht gegeben. Ergebnis: Die Arbeitsdichte nahm erheblich zu und mancher hätte lieber die 40-Stunden-Woche zurück. Vor allem im Bildungssektor und im Gesundheitswesen sei das ein Problem, so van den Hout. Einige Gewerkschaften würden sogar schon für die Verlängerung der Arbeitszeit eintreten.

Die 35-Stunden-Woche ist derzeit nicht besonders populär bei unseren westlichen Nachbarn. Seine Partei und einige Gewerkschaften werben zwar dafür, aber es brauche wohl noch viel Überzeugungsarbeit. »Viele denken«, beschreibt der SP-Politiker das Dilemma, »daß sie dann die gleiche Arbeit in 35 Stunden machen müßten, und das ist angesichts des jetzt schon sehr hohen Arbeitsdrucks unakzeptabel.« Zum Druck trägt auch die gewachsene Flexibilisierung bei: »Seit zwei, drei Jahren ist das das große Thema. Wir sollen alle sehr flexibel sein. Selbst die Gewerkschaften behaupten, daß die Arbeiter profitieren würden, weil sie wählen könnten, wann sie arbeiten wollen. In Wirklichkeit bestimmt natürlich nach wie vor dein Chef, wann er dich braucht. Und im Zweifelsfall schmeißt er dich raus. Flexibilität ist eine Einbahnstraße. Der Arbeiter soll sich anpassen, aber wenn der Unternehmer keine Arbeit mehr hat, setzt er seine Leute an die Luft,«

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