nd-aktuell.de / 15.02.1999 / Politik / Seite 11

Regiert uns gefälligst besser!

Gerhard Ebert

Wer heutzutage auf deutscher Bühne davon erzählen möchte, wie ungeheuerlich staatliche Macht den Menschen pervertieren kann, muß zurückgreifen auf Dramatiker, die sich in ihrer Zeit nicht scheuten, den Herrschenden auf die Finger zu klopfen. Christopher Marlowe (1564-1593) aus Canterbury, Zeitgenosse Shakespeares, Sohn eines Schuhmachers, ist so einer Mit seiner Haupt-und Staatsaktion »Edward II.« leuchtete er gehörig hinter höfische Kulissen.

Unverblümt erzählt Marlowe von einem König, dem sein homoerotisches Vergnügen wichtiger war als nationalstaatliche Belange - ein Konflikt, an dem etliche Unschuldige tragisch zugrundegingen. Wie das gemeinhin zu geschehen pflegt, wenn Regenten ihre Macht mißbrauchen. Wobei angemerkt werden muß, daß zu Marlowes Zeiten ein Machthungriger - ob König oder Fürst - noch

höchstselbst auf dem Schlachtfeld um sein führendes Haupt focht, was bekanntlich aus der Mode gekommen ist.

Den rundum widrigen historischen Fall in Sachen Staats- und Gemeinwohl inszenierte Wolfgang Engel, Intendant des Leipziger Schauspiels, in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin. Ums Uralt-Spektakel anzukurbeln, läßt er seine Spielschar aufmarschieren und zu Thomas Hertels griffiger Musik fröhlich Beine schlenkern, wie das Michael Flatleys Londoner »Feet of Flames«-Ensemble faszinierend macht. Weil aber Schauspieler bei aller Mühe, die sie sich geben, so perfekt nicht tanzen können, bleibt ein Eindruck von Unbeholfenheit, der sich leider hartnäckig, hält, obwohl Engel die Hopserei alsbald sein läßt und sich aufs Stück konzentriert. Eine Geschichte, sei sie noch so verwickelt, knapp und übersichtlich kommunikativ zu offerieren, ist nach wie vor seine Stärke.

Des Edwards Anmaßung und Untergang begibt sich auf düster gehaltener Bühne, in einem verwinkelten Sperrholz-

Palast auf der Drehscheibe (Bühnenbild Franz Koppendorfer). Kleine Spielwelt fürs große Fallbeispiel. Guntram Brattias Edward, kindischer vernarrt in seinen Liebhaber Gaveston als in seine Papp-Krone, ist von zügellosem Temperament, ein chaotischer Charakter, weniger ein Held und Riese der Renaissance, eher deren Clown. Beklommenheit im Zuschauerraum.

Direkte aktuelle Bezüge in Eva Walchs moderner Übersetzung sind Zufall. Etwa der Vorwurf eines ungeduldigen Peers gegenüber seinem Herrscher- »Regiert uns besser!« Worauf die untertänigen Grafen vergebens warten. Intrigen. Türen schlagen, Lauschen, Verstecken. Und immer wieder trocken lakonisch servierte profane Sätze. »Schmeiß ihn raus!« -»Ich schmeiß ihn nicht raus!« Gegen den Widerstand des Adels begünstigt Lotterbub Edward II. seinen Gaveston (Tom Quaas). Er macht ihn zum Hofmarschall des Reiches. Peers, die eine Lippe riskieren, ohrfeigt er Und seine Frau Isabella (Ulrike Krumbiegel) demütigt er. Sie, zer-

brechlich wie eine Puppe, raffiniert wie eine Schlange,'gebiert die Idee, Edward zu ermorden.

Die Adligen, gekleidet wie faschistoide Landjunker (Kostüme Katja Schröder), riskieren den Bürgerkrieg. Elende Hauerei. Edward und Gegenspieler Graf Mortimer (Daniel Morgenroth) verknoten sich. Man überlebt. Der König als Sieger, der Aufrührer als Gefangener Aber der Graf von eiskaltem Kalkül kommt frei, buhlschaftet mit der Königin und dingt den Mörder.

Bevor der zur Tat schreitet, gibt's Jauche aus dem Schnürboden, den eingesperrten König zu martern. Szenische Erfindungslust.

Der Abend, entstanden in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«, bringt interessanten Nachwuchs ins Spiel, sprecherisch durchweg gut drauf, darstellerisch beachtlich.