nd-aktuell.de / 09.03.1999 / Politik / Seite 10

Je früher der Abend ...

Peter Berger

Beim Berliner Regionalfernsehen Bl läßt's der Herr demnächst schon morgens um sieben Abend werden: Ab 6. April wird das »Flaggschiff Abendschau« früh bereits damit beginnen, »über alles Wesentliche zu berichten, das sich in der Stadt ereignet«, aktueller Wetter- und Verkehrsservice und Frühpresseschau inclusive. Darüber informierte Barbara Groth, seit einem halben Jahr als SFB-Fernsehdirektorin im Amt, auf einer Pressekonferenz. Das aktuelle Programmgerüst mit kurzen Abendschau-Ausgaben zur vollen Stunde von 7 bis 22 Uhr sei das »prägende Merkmal« der Programmreform. Permanent aktualisierte Meldungen und Filmberichte, Live-Schaltungen und Studiogäste sollen den Informationshunger zu jeder Tageszeit stillen. Die Hauptausgabe der »Abendschau« mit Hintergrund und Exklusivbeiträgen beginnt dann 19.30 Uhr und reicht bis an die ARD-»Tagesschau« um 20 Uhr heran. Man behalte das vertraute Programm, so Frau Groth, es werde nur klarer und übersichtlicher.

Mut zur Reform seines Fernsehprogramms' schöpfte der SFB aus einer repräsentativen Studie zu Akzeptanz und Image von Bl, die das Meinungsfor-

schungsinstitut INFO GmbH im Auftrag des SFB zu Beginn dieses Jahres angefertigt hatte. Die Umfrage attestierte dem Berlin-Programm eine hohe Akzeptanz -97 Prozent der Berliner kennen es, 23 Prozent schalten es täglich ein, und der Inhalt erhält überwiegend gute und sehr gute Noten, erläuterte Holger Liljeberg von INFO Der Marktanteil liegt derzeit bei 6,2 Prozent, Tendenz steigend. Als Hauptqualitäten bescheinigte Volkes Mund dem Sender regionale Kompetenz, aktuelle Berlin-Information sowie Programmvielfalt.

Nicht genug kriegen können die Zuschauer offenbar von Magazinen zu Wissenschaft, Medizin, Politik, Kultur und Sozialem; und natürlich von Ratgebersendungen. Dafür gibt es ab Montag, dem 19. April, zum Beispiel monatlich eine Halbstundensendung über Wissenschaft und Technik aus Berlin: »EinSteins Erben«. Ab 11. April will Bl jeden zweiten Sonntag Lust auf Grün machen mit der Sendung »Mein schöner Garten«, womit auch der auf dem Balkon oder auf dem Fensterbrett gemeint ist. Das Service-Angebot »Wohin in Berlin« informiert fünfmal täglich über kulturelle und sportliche Ereignisse vom Kiezfest bis zum Konzert, vom Theater bis zum Tischtennisturnier Und einem aktuellen Trend folgend, wird es auch zweimal täglich heißen: »Bl gratuliert«.

Zunächst erst mal gratuliert sich Bl selber zu seiner Programmreform. »Wer fit für Berlin sein will, der guckt Berlin«, sagt Frau Groth, aber so richtig glaubt sie wohl selbst nicht daran: Denn schon im Nachbarland Brandenburg ist es schwer, sich via Bildschirm fit zu halten für die Hauptstadt, da Bl nicht auf Satellit aufgeschaltet »und damit schlicht nicht erreichbar ist in großen Teilen Brandenburgs«, wie es hieß. Der Platz auf Satelliten koste 12 Millionen im Jahr, aber auch »ein halber Satellit« wäre kaum erschwinglich für den SFB. Denn der gehört trotz seiner herausragenden Bedeutung als Hauptstadtsender zu den Benachteiligten im bürokratisch-formalistischen Verteilungssystem der ARD, zu den Zwergsendern, den »Nehmern« und Habenichtsen, und soll in absehbarer Zeit sogar ganz auf den Finanzausgleich verzichten müssen, wenn es nach den christlich regierten »Südstaaten« ginge, die sich offenbar München besser als Hauptstadt vorstellen könnten als Berlin.

Frau Groth tröstet sich mit dem 6. Quotenplatz von Bl nach den großen Vollprogrammen, auch ohne Satellit, und damit, daß die Abendschau in Berlin noch vor der Tagesschau und den Unterhaltungsprogrammen rangiert. Die Reform werde aus eigener Kraft finanziert, sagt sie, durch »Umschichtung« des Geldes im Direktionsbereich von weniger erfolgreichen zu erfolgversprechenderen Projekten. Sie hofft, daß sich die Kindersendungen mit »Sandmännchen« und »Wolff und Rüffel« nach der Vorverlagerung von 19.50 Uhr auf 18.45 Uhr gegen die private Konkurrenz durchsetzen werden.

Und weil offenbar rund 200 000 Kinder bereits ab früh um fünf fernsehen, will Bl statt nachmittags nun schon morgens von sechs bis sieben ein öffentlich-rechtliches Kinderprogramm anbieten.

Das wird vermutlich nicht viel an der Tatsache ändern, daß der überwiegende Teil des Publikums jenseits der 40 ist. Dennoch sieht man keinen Grund, weshalb nicht auch 20 bis 40jährige ein Wissenschaftsmagazin gucken sollten. Liljeberg weiß, daß viele junge Eltern natürlich auch mit ihren Kindern öffentlichrechtliches »Sandmännchen« sehen. »Und Wolff und Rüffel«, ergänzt Frau Groth mit sanftem Nachdruck.

Denn im Abendgruß für die Kinder existiert die Mauer schon längst nicht mehr Und im Erwachsenenprogramm? Da schritt die Einheit zügig voran, wird mitgeteilt, und nur in Nebensätzen ist noch von Rezeptionsunterschieden Ost und West die Rede. Schließlich hatte der Osten ja schon vor der Wende den »Westen« geguckt, und das ist freilich wahr- aus Trotz und aus dringlichem Informationsbedürfnis. Allerdings: Als die Westsender nach der Wende ihren Informationsvorsprung eingebüßt hatten und die Ostmedien aufdrehten, um für einen kurzen historischen Moment zu zeigen, was sie konnten, wenn sie durften, da war plötzlich der Osten das Besondere und der Westen das, was man nun kaum noch brauchte. Und während der Osten einen Selbstbesinnungsprozeß durchlebte, durchlitt manches Westmedium nun eine Identitätskrise. Nein, leicht wurd's dem jungen Charlottenburger Sender Bl ge-

wiß nicht, den Berliner Osten friedlich zu erobern, und unterhaltsam dazu. Es galt Vorbehalte auf beiden Seiten abzubauen und Gemeinsamkeiten zu entdekken, wo Empfindsamkeiten dominierten. Wie die INFO-Studie belegt, liegen heute die Akzeptanzdefizite Ost im Minimalbereich von ein bis zwei Prozent.

Am Rande der Pressekonferenz wollen wir von Barbara Groth wissen, wie man beide Berlins bei der Abendschau so einträchtig auf ein Sofa gekriegt hat. Sie habe, erwidert sie, vor zehn Jahren schon gesagt, ihr Ziel sei es, das Wort »drüben« aus dem Wortschatz zu streichen. Das sei offenbar gelungen. »Und zwar wechselseitig«. Wir gratulieren zu diesem Sieg der Semantik über den beidseitigen Beton in den Köpfen und bitten um nähere Einzelheiten. »Wir waren ein Westberliner Regionalsender und wußten beizeiten, daß wir uns öffnen mußten«. Und wie, bitte? Zum Beispiel, indem man mit Cathrin Böhme, Raiko Thal und Petra Schwarz Kollegen aus dem früheren Osten holte. Und die Sendung »quivive« in der Ostberliner Charite ebenso produziert wie im Westberliner Benjamin-Franklin-Institut. »Wir sehen weder einen Ost-Vorteil, noch einen West-Vorteil, wir sehen nur ganz Berlin«, sagt unsere Gesprächspartnerin. Und in ganz Berlin vermutlich nur »den« Berliner, ergänzen wir im Stillen, wie langweilig! Aber dann fällt Frau Groth doch noch der rettende Unterschied ein: Zu später Stunde gibt's bei den Berlinern im Osten weniger Zuschauer. Der Grund? Der Osten geht früher schlafen.