- Politik
- Rundfunk-Sinfonie Orchester bei der Musik-Biennale
»Fanal Spanien 1936«
Mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und dem 64jährigen Schweizer Komponisten, Pianisten und Dirigenten Jürg Wyttenbach aus Basel standen Interpreten zur Verfügung, die seit 1975 über große Erfahrung im Umgang mit neuer Musik verfügen. Das kam dem anspruchsvollen und stilistisch sehr vielfältigen Programm im Konzerthaus Berlin erfreulich zugute. Die Musiker und ihr Dirigent fanden sich mit den unterschiedlichen, zum Teil extrem unkonventionellen Spiel- und Musizierweisen der Werke dieses Abends ausgezeichnet zurecht.
Am Beginn stand ein Beitrag aus der DDR. Die Ballade »Fanal Spanien 1936«
des 57jährigen Thüringers Friedrich Schenker. Sie wurde 1981 in Leipzig uraufgeführt, war eine Hommage für den Freund und Lehrer Dessau. In Klang und Haltung. Aggressiv und rebellisch erinnert sie an den Spanischen Bürgerkrieg, den Kampf der Interbrigaden gegen den faschistischen Franco-Putsch. Dessaus Lied von der Thälmann-Kolonne wird klanglich und rhythmisch verfremdet zitiert. Dazu erklingt am Ende original die »Guernica«-Musik des Lehrer-Freundes, Erinnerung an Picassos berühmtes Bild zur Vernichtung der spanischen, Stadt durch die deutsche Legion Condor Dazwischen schieben sich in Fragmenten substanzgebend Arbeiter-Kampflieder, Spanienlieder Expressiv, anklagend, mit aufrührerischer Härte ist diese Musik klangliches Politikum. Es gehört zu den
heute üblichen Simplifizierungen historischer Sachverhalte, daß in den Konzerteinführungen zu diesem Stück Schenkers Ballade herabqualifiziert wird zu einem listigen Umgang mit dem damals erhaltenen Kompositionsauftrag, der sich die Verarbeitung von »Liedgut der Arbeiterklasse« wünschte. Dabei geht man mit den Fakten wenig sorgsam um: Hemingways angeblich in der DDR verbotener großer Roman über den spanischen Befreiungskampf 1936 bis 1939, »Wem die Stunde schlägt«, erschien beispielsweise im Aufbau-Verlag Berlin 1984 bereits in vierter Auflage! - Im Konzerthaus jedenfalls erklang Schenkers Stück, präzise dargeboten, frisch unti aufrüttelnd wie am ersten Tag.
Daneben wirkte am Ende »0 Daddy«, ein drei Jahre später (1984) entstandenes
Stück des 62jährigen Fortner-Schülers Wolfgang Riehm reichlich blaß. Sein Thema: Ein Jugendlicher erschoß 1977 in Rom den eigenen Vater, um sich und die Familie von dem brutalen Alkoholiker zu befreien. Das Ganze wird realisiert als eine Verbindung von Orchesterklängen mit Zuspielungen eines 4-Spurbandes aus dem Experimentalstudio der Heinrich-Strobel-Stiftung des Südwestfunks Freiburg/Breisgau. Aus dem halligen Klanggemisch heben sich wenige Worte kommunikativ verzerrt hervor Das wirkt eher als eine Geräusch- und Klangkulisse mit Kino-Image.
Von weitaus gewichtigerer Substanz ist das »inter-mezzo« für Klavier und Orchester (1986) des 55jährigen Mathias Spahlinger Es erklang 1988 zum ersten Male. Der Komponist versucht hier »Zersetzung der Ordnung durch ihre eigene Gesetzmäßigkeit«. Er tut das mit erheblichem klangtechnischem, spieltechnischem Aufwand. Radikal. Auch in den konventionellen Strukturen sich betont Konventionen verweigernd. Aber er findet zum Teil überzeugende neue Lösun-
gen. Ein Avantgardist der Postmoderne. Für die Interpreten, darunter der sehr überzeugende Klavier-Soliste Robert Regös (dem das Werk auch gewidmet ist) hält die Partitur erhebliche Schwierigkeiten bereit. Sie wurden in Berlin mit Bravour gelöst.
Uraufgeführt wurde ein Kompositionsauftrag der Musik-Biennale Berlin: »essence« für Orchester des 31jährigen Michael Oesterle aus Ulm, der 1982 nach Kanada auswanderte. Über seiner Partitur steht ein Zitat aus Marcel Prousts Roman »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«. Drei Sätze, der erste langsam, der zweite energisch, präzise, der dritte zweiteilig, in versartiger Gliederung, zeigen Sinn für instrumental farbige Klangschichtungen, für gleichsam malende Melodik, für genau kalkulierte Bewegungsabläufe. Das Ende mündet in Stille. Das Ganze hört sich gut an, weckt Interesse an den Klängen und ihrer Entwicklung. Diese Biennale-Premiere (mit Matthias Wollong als Violin-Solist) macht Lust auf die Bekanntschaft mit weiteren Werken des Komponisten.
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