nd-aktuell.de / 01.04.1999 / Politik / Seite 1

– NATO will Zentrum Belgrads bombardieren

Scharping: Luftterror auch über Ostern/Kritik an Kriegskurs der Grünen

Die Luftangriffe auf Jugoslawien werden über Ostern fortgesetzt. Das kündigte die Bundesregierung an. Laut »Washington Post« steht auch Belgrad auf der Zielliste.

Das von NATO-Bombern zerstörte Haushaltsgerätewerk »Sloboda« in Cacak Foto: Reuters/Vas

Bonn/Brüssel (ND/dpa/ADN/Reuters). Während Militärminister Rudolf Scharping stärkere Bombardements während der Feiertage ankündigte, erklärte Au-ßenminister Joseph Fischer, die Vermittlungsversuche des russischen Ministerpräsidenten Jewgeni Primakow seien ohne Substanz gewesen. Bereits am Dienstag abend hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder den russischen Versuch zu Friedensgesprächen brüsk abgelehnt. Vom jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic forderte Fischer den vollständigen Rückzug des Militärs, der Sonderpolizei sowie von paramilitärischen Einheiten aus dem Kosovo. Außerdem soll Jugoslawien die Rückkehr der Flüchtlinge garantieren. Erst dann könne über eine politische Lösung »im Rahmen von Rambouillet« verhandelt werden. Dieser Vertrag schreibt die Stationierung von NATO-Truppen im Kosovo vor Der Staatsminister im Auswärtigen Amt,

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Ludger Volmer (Grüne), verteidigte im ND-Gespräch die Bombenangriffe. Er berief sich auf einen »übergesetzlichen Notstand«. Milosevic betreibe eine Vertreibungs- und Vernichtungspolitik, »die mit vielen Kategorien der Nazi-Politik zu vergleichen« sei. Die Grünen-Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk forderte gegenüber ND, die Angriffe zu beenden.

Zum sofortigen Stopp des Krieges rief am Mittwoch in Bonn auch der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele auf. Jeder Tag Verhandlungen sei besser als ein Tag Krieg. Das Ja der bündnisgrünen Regierungsmitglieder sowie der Fraktionsmehrheit

zum Krieg wird in einem Aufruf von über 500 Parteimitgliedern mißbilligt. Darunter befinden sich mehrere Berliner und Hamburger Abgeordnete. Die Hamburger Grünen verlangten inzwischen einen Sonderparteitag.

Der NATO-Rat hatte dem Paktoberbefehlshaber in Europa, General Wesley Clark, unmittelbar nach dem russischen Vermittlungsversuch am Dienstag abend den Auftrag für eine Ausweitung der Aggression gegeben. Nach einer Meldung der »Washington Post« sind die USA und die NATO-Verbündeten übereingekommen, dabei auch Ziele im Zentrum Belgrads zu bombardieren. Damit könnten das Innen- und Verteidigungsministerium gemeint sein. Der Auftrag des NATO-Rates an Clark soll allerdings noch nicht der »Phase 3« des NATO-Überfalls entsprechen, die weitere Gebiete im Norden Serbiens umfassen würde.

Aus Belgrad wurden erstmals Tiefflüge der NATO über der jugoslawischen

Hauptstadt gemeldet. Bei Angriffen durch Kampfbomber seien unter anderem Vororte der Stadt und der Kosovo-Hauptstadt Pristina getroffen worden, meldete das jugoslawische Fernsehen.

Die größte serbische Fabrik für Haushaltsgeräte, »Sloboda« in Cacak, etwa 90 Kilometer südlich von Belgrad, ist durch NATO-Luftangriffe an den vergangenen Tagen vollkommen zerstört worden. Der Sachschaden betrage 300 Millionen US-Dollar, sagten Fabrikvertreter vor in- und ausländischen Journalisten, die das Betriebsgelände am Mittwoch besuchten.

Der russische Verteidigungsminister Igor Sergejew kündigte am Mittwoch die Entsendung eines Flottenverbandes aus insgesamt sieben Kriegsschiffen in die Adria an. Der russische Föderationsrat, die Vertretung der Regionen, forderte die Regierung am selben Tag einstimmig auf, Jugoslawien mit Waffen zu versorgen. Minister Sergejew sagte, sein Ministerium sei bereit, der Regierung »entschiedenere Maßnahmen« vorzuschlagen.