nd-aktuell.de / 01.04.1999 / Politik / Seite 12

Pandora ist geöffnet«

Die Exilgemeinschaft diskutiert den Grenzkonflikt zwischen Eritrea und Äthiopien Von Charlotte Schmitz

Äthiopien meldet am Dienstag neue Angriffe Eritreas. Asmara dementiert. Klar ist nur: Auch dort geht der Krieg weiter.

Die Büchse der Pandora ist geöffnet«, sagt Kinfe Abraham aus Addis Abeba, enger Berater der äthiopischen Regierung. Er spricht über die militärische Konfrontation Eritreas und Äthiopiens, die in Europa als Grenzkonflikt wahrgenommen wird, sich inzwischen aber zu einem handfesten Regionalkrieg ausgeweitet hat. Die Verluste sind hoch. Die Auseinandersetzung um das karge Badme-Dreieck, der »erste Hightech-Krieg auf dem afrikanischen Kontinent«, kostete nach unabhängigen Schätzungen schon 40 000 Menschenleben.

Selbst aus Sicht der Historiker ist der Grenzverlauf völlig unklar Zwar gelten völkerrechtlich die von der ehemaligen Kolonialmacht Italien gezogenen Grenzen, doch wurde das Gebiet traditionell sowohl von eritreischen wie äthiopischen Nomaden als Viehweide' genutzt, der Grenzverlauf in der Praxis fließend gehandhabt. »Die Grenze, die auf der Landkarte eindeutig erscheint, ist im Bewußtsein der Bevölkerung und der Verwaltung nicht so festgelegt«, analysiert der Berliner Historiker Wolbert Smidt. Sein Kollege vom Institut für Afrikastudien der Universität Hamburg, Bairu Tafla, pflichtet ihm bei: »Wir haben keine Erkenntnisse darüber, wer eigentlich wessen Territorium weggenommen hat, wir kennen nur unbewiesene Behauptungen.« Daß Äthiopiens Regierung im Laufe des Krieges etwa 45 000 Menschen nach Eritrea abschob, hat weiteres böses Blut erzeugt. Ein Vermittlungsvorschlag der Organisation Afrikanischer Staaten (OAU) liegt auf dem Tisch, ist sogar von beiden Seiten formal akzeptiert, wird aber nicht umgesetzt, solange eine von ihnen militärische Vorteile auf dem Schlachtfeld wittert. Für Eritrea, das nach einem knochenharten, opferreichen 30jährigen Kampf 1993 die Unabhängigkeit errang, erheben sich vermeintliche Grenzverletzungen sofort zu einer Frage der nationalen Existenz. Das Trauma der äthiopischen Dominanz läßt

auch geringfügige Auseinandersetzungen schnell eskalieren.

Die eritreische und äthiopische Exilgemeinde in Deutschland beobachtet die Vorgänge in ihrem Herkunftsland angespannt. Schon werden Sammlungen für die Kriegskassen beider Seiten gestartet. Ein Gegengewicht zur allgemeinen psychologischen und materiellen Aufrüstung versuchten Kriegsgegner bei einer Konferenz letzte Woche in Bonn zu bilden, die in zahlreiche Aktionsvorschläge mündete. In einer abschließenden Resolution forderten die rund 100 Teilnehmer ein Ende des Blutvergießens, die Umsetzung der OAU-Vorschläge und eine Friedensinitiative der Bundesregierung im Rahmen ihrer EU-Präsidentschaft.

Ein erster Aktionstag mit weltweit zeitgleichen Demonstrationen für einen Waffenstillstand fand in der vorigen Woche statt. In Wiesbaden gingen etwa 2000

Menschen für Frieden am Hörn von Afrika auf die Straße, weitere Tausende in anderen deutschen und US-Städten.

Dima Sarbo, ehemals äthiopischer Informationsminister, äußerte bei der Bonner Konferenz jedoch wenig Hoffnung auf baldigen Frieden: »Der Krieg hat gerade erst begonnen«, bedauerte er Menschenrechtsverletzungen hätten nicht nur gegenüber den Eritreern in Äthiopien zugenommen, sondern auch gegenüber jeglicher Opposition. »Es ist hochgradig naiv zu erwarten, daß es einen Sieger geben wird«, mahnte auch der Journalist Alemayehu Buruworku, »es ist ein Krieg aller gegen alle«. Entsprechend dieser pessimistischen Prognose erwartet er eine Internationalisierung des Konflikts auf Somalia und Sudan.