nd-aktuell.de / 08.07.1999 / Politik

Texte jenseits der Hölle

Volker Trauth

Und der Herr sprach Begegnest Du Dem Albaner und dem Wolf Töte den Albaner.

S'Ö beginnt das Gedicht des ä kbsövo-albanischen Lyrikers Ali Podrimja, dessen Titel »Wer tötet den Wolf« auch über einer Lesung im Hebbel Theater stand, einer Veranstaltung, die mit Unterstützung des Kleisttheaters Frankfurt (Oder), der Berliner Volksbühne, der Schaubühne, des Deutschen Theaters und der »Stiftung für griechische Literatur« zustande gekommen war und kosovo-albanische Lyrik und Epik vorstellte.

Podrimja, der in viele Sprachen Europas übersetzt wurde, ist gegenwärtig Stipendiat der »Heinrich-Böll-Stiftung«. Im Kosovo kennt das Gedicht vom Wolf und dem Albaner jedes Kind, drückt es doch in exemplarischer Weise das tief verwurzelte, über Jahrhunderte gewachsene kollektive Trauma der Kosovo-Albaner von einer aufgezwungenen Opfer-Rolle aus, denn selbst »der Herr« ruft in diesen Versen zum Mord an den Albanern auf. Podrimja läßt jedoch das Gedicht enden mit der tapferen Überlebensgewißheit des vom Tode bedrohten Albaners.

Neben Ali Podrimja stellte im Hebbel Theater auch der junge kosovo-albanische Lyriker Beqe Cufaj eine Reihe seiner Gedichte vor. Sein kenntnisreicher Übersetzer Hans-Joachim Lanksch nennt ihn nicht Ohne Grund einen »Dichter der Düsternis«, sind doch Worte wie »Grab«, »Friedhof«, »Tod«, »Gefallene« Schlüsselworte seines lyrischen Schaffens.

Auch wenn man die sprachlichen Eigenarten der beiden Lyriker berücksichtigt, offenbaren sich doch Gemeinsamkeiten. Nirgends gibt es ein Sichbaden in der Beschreibung von Orgien der Gewalt und der Vertreibung. Gesucht wird eine lakonisch-einfache Sprache. Nicht der Schmerz über das von ihrem Volk erlebte Grauen steht im Zentrum, viel mehr das Angehen gegen den Schmerz, das Staunen darüber, was Menschen Menschen antun können. Eine Situation jenseits des Infernos herrscht vor, der Blick zurück vom anderen Ufer der Hölle.

Eine Ausnahme vielleicht das Gedicht »Gevatter Tod« von Beqe Cufaj - eine in expressiven Sprachfetzen eingefangene Apokalypse. Bilder, wie sie einst Hieronymus Bosch auf die Leinwand gebannt hat, gerinnen zur Metapher. Von »Hunden ohne Schwanz«, die »Turmdächer zerfet-

zen«, ist die Rede und vom Blut, das »durch die Schießscharten sickert«. Von konkreten Kriegshandlungen wird fast nie gesprochen - allenfalls im Gedicht »Ungeschriebener Grabspruch«, in dem Soldatengräber betrauert werden. Bereits in der nächsten Strophe aber, wenn der »Schatten der Gefallenen« mit »verwesten, schwankenden Fahnen« verglichen und nach ihren unbekannten Vermächtnissen gefragt wird, wendet sich der Blick in eine Ungewisse Zukunft.

Einige Themen kehren im Werk beider Dichter immer wieder: die Einsamkeit (gleich mehrere Gedichte tragen diesen Titel), das Alleinsein des Dichters in der Fremde (in »Unter mir brennt Paris« und »Hotel Moskau, Zimmer 512«), die unfaßbare, einverseelte Trauer (von der »eintätowierten Trauer« spricht Beqe Cufaj in »Verrückte Visionen«) und die Entfremdung des Menschen von sich selbst (»Mein Schatten läuft ohne mich herum«, klagt Ali Prodimja). Konkrete politische Ereignisse kommen dagegen in der Epik zur Sprache. Im Roman »Schlund der Zeit«, dessen fünf erste Kapitel der auch in Deutschland bekannte Romancier Migjen Kelmendi vorstellte, erlebt der Held, Kelmendis Großvater Arif, der von den Bergen durch das Tal Rugova in die Stadt Peja (serbisch Peez) herabgestiegen ist, eine Wahlfarce ohne Beteiligung der Albaner, nach deren Ergebnis die Stadt Serbien zugeschlagen wird. Dieser Text trägt Züge einer Familiensaga und beschreibt eine Reise durch Raum und Zeit. Auf seine Fertigstellung darf man gespannt sein - Friedo Solter vom Deutschen Theater, der die deutsche Übersetzung mit schauspielerischer Fabulierlust las, bekannte seine Überraschung, auf eine echte literarische Kostbarkeit gestoßen zu sein.