nd-aktuell.de / 04.09.1999 / Politik / Seite 15

Pech fürs Agentenpärchen

Ein Transportflugzeug vom Typ Arado 232B und die beim Unternehmen »Zeppelin« zerschellte Maschine

Foto: Archiv

Von Klaus Jaschinski

Führenden Staatsmänner der alliierten Mächte ermorden zu lassen, war immer wieder in der obersten Naziriege seit Entfesselung des Zweiten Weltkrieges erwogen worden. Von den entsprechenden Überlegungen gelangten aber nur wenige in die Planungsphase, noch weniger darüber hinaus. Zu letzterem gehörte das Unternehmen »Zeppelin«, das vor 55 Jahren, Anfang September 1944, anlief und die Ermordung Stalins zum Ziel hatte.

Will man Walter Schellenberg, damals oberster Chef der deutschen Auslandsspionage, glauben, dann war es Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop, der im Sommer 1944 mit einer Neuauflage der Idee zur Ermordung Stalins bei Hitler, Himmler und Bormann aufwartete: Stalin sei, gemessen an seinem militärischen wie staatsmännischen Können, Roosevelt und Churchill weit überlegen und folglich der gefährlichste Gegner Deutschlands. Ohne ihn wäre das russische Volk kaum in der Lage, den Krieg fortzusetzen. Von Ribbentrop plante, der sowjetischen Führung Verhandlungen auf höchster Ebene vorzuschlagen. Der Kremlführer sollte dann quasi am Verhandlungstisch erschossen werden. Als Mordwaffe sollte ein speziell präparierter Füllfederhalter dienen, den - falls nötig von Ribbentrop selbst betätigen wolle.

Doch sogar Hitler, dessen Hass und Rachegelüste nach dem Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 ins Unermessliche gestiegen waren, schien diesem Vorschlag nicht recht folgen zu wollen. Er riet seinem Außenminister, erst einen »kompetenten Mann« in dieser Angelegenheit zu konsultieren. Bei einem daraufhin arrangierten Treffen macht Schellenberg Ribbentrop klar, dass der Plan absurd sei -Moskau würde nicht zu Verhandlungen zu bewegen sein. Himmler, Vorgesetzter von Schellenberg, hatte indes bereits ein eige-

nes Unternehmen angeschoben, allerdings nicht, ums sich bei Hitler weiter lieb Kind zu machen. Er spekulierte darauf, dem Westen ein Zeichen zu geben und sich als Kämpfer gegen die »Gefahr aus dem Osten« zu präsentieren, der im Falle eines Separatfriedens nicht zu übergehen sei.

Die nach Himmlers Plan zur Ermordung Stalins auserkorenen Agenten waren ein gewöhnlicher Krimineller namens Politow sowie dessen Frau, geborene Schilowa; deren Vater ein fanatischer Feind' der So-“ wjetmacht gewesen war. Die Eheleute waren bereits im Sommer 1943 im okkupierten Teil der Sowjetunion angeworben worden. Über ein Jahr wurden beide intensiv trainiert. Politow alias Tawrin bekam durch plastische Operation ein neues Aussehen. Die Spezial- und Fälscherwerkstätten von SS und SD fertigten die nötigen Papiere: Neben Passierscheinen, Stempeln und Ausweispapieren fälschte man noch eine Prawda- und eine Iswestija-Ausgabe, in denen der Name Tawrin in einer Liste der »Helden der Sowjetunion« erschien. Den dazugehörigen Orden hatte man dem von der SS ermordeten Generalmajor Iwan Schepetow abgenommen. Derart ausgerüstet und mit einer »Panzerknacke« versehen, d. h. einer Panzerfaust en miniature, sollte Politow sich als Major Tawrin Zugang zu einem Helden-Empfang bei Stalin verschaffen, um dort die Mordtat zu begehen.

In der Nacht vom 5. zum 6. September 1944 war es so weit. Eine Transportmaschine vom Typ Arado 232B, die auf schwierigem Gelände starten und landen konnte, flog das Agentenpärchen sowie ein Beiwagenkrad hinter die sowjetischen Linien. Es war dies bereits der zweite Anlauf. Den ersten einige Tage zuvor hatte man wegen starken Bodennebels im vorgesehenen Landegebiet abbrechen müssen. Nun konnte die Maschine zwar landen, streifte aber einen Baum und nahm derart Schaden, dass ein Rückflug nicht mehr in Betracht kam.

Das Agentenpaar nahm wie vorgesehen

das Beiwagenkrad und fuhr in Richtung Moskau. Auf der Chaussee nach Rshew musste es an einem Straßenposten halten. Nicht die vorgezeigten Papiere erweckten den Argwohn des Postens, sondern die Behauptung des falschen Majors, bereits die ganze Nacht hindurch unterwegs zu sein. Da es jedoch bis kurz zuvor in Strömen geregnet hatte, stutzte der Rotarmist angesichts der auffallend trockenen Bekleidung der beiden Motorradfahrer. Auch „ ihcKrad wies jöicht auJLejne.Fahrt durch Dauerregen hin. Die beiden Verdächtigen wurden ins nächstgelegene Rayonkriegskommissariat gebracht, wo eine gründliche Untersuchung des Motorrads erfolgte. Die Suche war erfolgreich. Gefunden wurden sieben Pistolen, giftpräparierte Projektile, eine Magnetmine mit Funkmesszünder, knetbarer Sprengstoff, die »Panzerknacke«, 428 000 Rubel sowie etliches mehr, was die Legende des Agentenpärchens rasch zusammenbrechen ließ und damit dem Unternehmen »Zeppelin« ein vorzeitiges Ende bescherte. Es war sicher ein Zufall, dass ein auf-

merksamer Straßenposten dieses mit reichlich Aufwand betriebene Geheimunternehmen - allein die Vorbereitung soll vier Millionen Reichsmark verschlungen haben - zu Fall brachte. Doch auch in Moskau hatte man wohl schon einen Wink bekommen. Jedenfalls hatte die sowjetische Luftaufklärung die Arado 323B beim Überfliegen der sowjetischen Linien bemerkt und Meldung erstattet. Dennoch erging kein Befehl zum Abfangen an die nächstgelegene Jagdfliegereinheit. Offenbar wollte man die ungebetenen »Gäste« bei deren Eintreffen in Moskau »gebührend« empfangen.

Schellenberg präsentierte später eine etwas andere Version. Demnach wären die beiden Agenten zwei Offiziere der Roten Armee gewesen,'die lange Haftstrafen

in Sibirien verbüßt hätten und Stalin hassten. Einer von ihnen hätte einen Mitarbeiter im Fuhrpark Stalins gekannt, über den man sich Zugang zu Stalins Wagen versprach, um dort eine Haftladung anzubringen, die über Funk gezündet werden sollte. Zudem sollten nach Schellenbergs Darlegung die beiden Agenten nach der Landung hinter der Front in einem Milizauto als Polizeistreife getarnt nach Moskau gelangen. Eines indes bestätigte auch Schellenberg: Das Unternehmen scheiterte bereits im Ansatz.

Doch auch ein Gelingen des Mordplans hätte weder die alliierten Hauptmächte entzweit noch das russische Volk vom Kampf gegen die Faschisten abgehalten. Die militärische Niederlage des Naziregimes war unabwendbar.