nd-aktuell.de / 13.09.1999 / Politik / Seite 11

Bunker und Weltall

Hans-Dieter Schutt

Auf dem Titel des Programmheftes entsteigen Wallenstein und seine Generalität einem riesigen Mercedes. Die Russen-Mafia lässt grüßen. Oder die Popgruppe Dshingis Khan. Feldmarschall Illo (Philipp Otto): Weißer weiter Mantel und Schulterhalfter. Kroaten-General Isolani (Dietmar Burkhard): Fellmütze und Sonnenbrille - und gebrochener Schiller-Vers. Regimentschef Butler (Sebastian Kowski): einem NATO-Kosovo-Krieger nicht unähnlich; den Kaugummi klebt er sich - wenn der klassische Vers eine freie Zunge erfordert - hinters Ohr.

»Wallenstein« ist wohl unser bedeutendstes Stück über militärische Konspiration und Verrat, Parteienverfall und Fehlkalkulation, über die Haltbarkeit alter Bindungen im Spiel neuer Interessen. Schillers Werk von 1799 zeigt eine wirre Welt, in der die letzte idealische Gestalt des Dichters, Max Piccolomini, hilflos untergeht und sein Satz »Es gibt noch höheren Wert als den kriegerischen« kraftlos zerflattert.

Aber so weit ist es noch nicht. Am Dresdner Staatsschauspiel hatte zunächst der erste Teil Premiere (»Das Lager«, »Die Piccolomini«), in dem jenes Drama erst geschürt wird, das zu »Wallensteins Tod« führt, jenem zweiten Teil des Stücks, das im November auf die Bühne kommt.

Regisseur Hasko Weber - und das erhebt die Inszenierung zum Ereignis - hat keine Furcht vor der hohen Begrifflichkeit und der hochgezogenen, gepanzerten Sprache, in der auch das Schreckliche und

alles Krude der Realiät aufgehoben ist. Aber er versteht den Prolog des dramatischen Gedichts als Auftrag: »An des Jahrhunderts ernstem Ende« gilt es für die Kunst, sich der höchsten Gegenstände der Gegenwart! - anzunehmen. Also spielt er Schiller wie eine Vorwegnahme heutiger Politik, und das ist die Athletik der »Sachzwänge«, der apokalyptische Ausverkauf an alle möglichen Abtrünnigkeiten und die Verklebung des Menschen in die vielen lockenden Formen der Gewissenlosigkeit. Zugleich freilich bleibt Wallenstein das Muster des großen Einzelnen, der zum Bedrängten wird, weil er halt aus aller Gewöhnlichkeit herausgerissen ist.

Im »Lager« bietet Weber ein mitreißend choreographisches Porträt von Wallensteins Heer. Die Schauspieler tragen Halbmasken; Musik peitscht und treibt; im Wechselspiel von Formation und herausgegriffener Individualität zeigt sich die Seele einer Armee und die verführerische Grausamkeit des Soldatenlebens. Die Szene stampft, als wolle man daran erinnern, dass »Wallenstein« ein Stück für Einar Schleef sei.

»Die Piccolomini«: Mathis Neidhardt hat hohe braune Holzwände aufgestellt; sie tragen die Aufschrift »Pozor!«, heben und senken sich unter Maschinenlärm um allen Macht-Raum hermetisch zu bunkern oder aber den Blick zu öffnen auf steilste Stufen. Wer von oben kommt, wirft seinen Schatten voraus. Treppen hinauf, die hinab führen.

Dieter Mann, der Gast vom Deutschen Theater: der Star in einem starken Ensemble. Ein kältlicher, schneidend kluger und selbstüberzeugter Feldherr. Eben so

wie der aufbrausend junge Max des Thomas Eisen, der wunderbar jenen traurigen Vorgang zeigt, bei dem sich Naivität auf dem Weg zur Erfahrung unweigerlich verhärten muss, kann Mann in diesem ersten Teil des Projekts zunächst nur andeuten, worin die Einmaligkeiten seiner Darstellung liegen werden. Das gilt auch für den treu-redlichen Octavio Piccolomini des Albrecht Goette und die Thekla der Winnie Böwe: eine Zartheit, in der doch schon das verhängnisvoll trotzige, frontal veranlagte Selbstbewusstsein des Vaters Wallenstein lodert.

Schillers Erregung, Schillers Gabe als ebenso genialer wie trivialer Theatraliker leuchten in einem Schau-Spiel aller auf, das modern ist, ohne dass Aktualisierungen sich vom Kern des Dramas entfernen (die Musik von FM Einheit tickt und dröhnt und trommelt und dunkelt sphärisch ein). Mag sein, dass der mafiotische Grundzug der Generalsebene die Differenzierungen behindert - auch das jedoch wird erst nach Ansicht des gesamten Stücks zu beurteilen sein, dessen versetzte Aufführungen ich für problematisch halte. Man wird praktisch im Moment, da es spannend wird, aus einem ergreifend dynamischen Rhythmus herausgerissen. Wenn auch mit einem faszinierenden Schlussbild: Die Wände verschwinden, die Bühne hebt sich, mit ihr Wallenstein, der hoch gereckt und stolz und lächelnd vor einem gigantischen Sternenhimmel steht wie vor der Unendlichkeit. Ein Hauch von etwas, das zu groß aufatmet, um nicht gefährdet zu sein.