nd-aktuell.de / 24.09.1999 / Politik

Pornos in Polizeiakten

Frank-Rainer Schurich

Na klar, um Mord und Totschlag gehl es in allen fünf Geschichten. Die Motive für die ruchlosen Taten sind sehr unterschiedlich; liSo erschlägt der Posträuber von Naumburg eine Angestellte mit einem Zimmermannshammer, um an das ersehnte Geld zu kommen. Ein junger Mann, hasserfüllt gegen seine drei Schwestern, sticht amokartig auf die Opfer ein. Und ein charakterlich labiler, triebhafter 36-jähriger vergewaltigt, tötet und verstümmelt die Frau, damit die Kripo sie und ihn nicht identifizieren kann.

Harald Korall, der Germanistik, Pädagogik und Psychologie studierte und seit 1986 freischaffend tätig ist, erzählt eindringlich und mit leisen Tönen. Stets hautnah an den Tätern und Opfern, den Kriminalisten und Gerichtsmedizinern, kommt es ihm nicht auf Sensationshascherei an, sondern auf Motive und Schuld, auf die wahren Ursachen und wirklichen Bedingungen der Verbrechen. Demzufolge stehen die Täter, ihre psy-

chologischen Profile und realen Absichten im Mittelpunkt der Erzählungen. Dass die ersten drei Delikte in der DDR spielen, wird relativ schnell deutlich, spätestens dann, wenn man den »Genossen Mörder« bestraft und aus der Partei ausschließt wie im Fall 1 geschehen. »Mutter Anna« und »Aus heiterem Himmel« sind dagegen in der neuen Zeit angesiedelt und nicht weniger brutal. Der kleine Sohn schreit nicht, als er mit dem Hammer von der Mutter erschlagen wird. Und als Mandy, die Große, wenig später aus der Schule kommt, ist es für Anna zu spät, mit dem Morden aufzuhören - sie ersticht sie mit einem Schraubendreher. Ihr Suizidversuch scheitert. Das Motiv? Ihr letzter Partner, Klaus-Dieter, trennt sich von ihr. Da will sie aus der Welt gehen und nicht unglückliche Kinder zurücklassen...

Auch das Alltagsleben der Kripo kommt nicht zu kurz. Kurios, aber es passiert immer wieder: Der Zeuge erkennt einen Kriminalisten bei der Gegenüberstellung als Täter wieder! Und ein Mörder wird verhaftet, obwohl es zu diesem Zeitpunkt

noch keine ausreichenden Haftgründe gibt. Vernehmungsprotokolle werden viel gefragte Schriftstücke unter den Polizeikollegen, weil die Liebesgewohnheiten und zwei Dutzend Partnerschaften eines Opfers ausführlich festgehalten wurden. Da hofft so manche trockene Polizistenseele auf lüsterne Unterhaltung.

Korall ist der Diktion seines ersten Buches beim Militzke Verlag »Die Stunde vor Mitternacht« treu geblieben; die konkreten Tat- und Handlungsorte kommen nur verschlüsselt herüber, den Postraub von Naumburg einmal ausgenommen. Den Geschichten tun die fehlenden Antworten auf die alte Kriminalisten-Frage: »Wo?« jedoch keinen Abbruch. Korall, der ohne direkte Rede auskommt, quasi dabei ist, seinen eigenen Kriminal-Stil zu entwickeln, weiß den Leser mit seinen psychologischen Fallbeschreibungen zu fesseln. Wozu die Koordinaten von Raum und Zeit, wenn eigentlich nur bewiesen werden soll, dass der Schritt zum Mörder leichter zu vollziehen ist, als es sich der wohlerzogene und situierte Mensch im allgemeinen vorstellt?