nd-aktuell.de / 15.10.1999 / Kommentare / Seite 15

Wer Lust hat zu tauschen, hat auch Lust zu betrügen

Der Denkansatz, das gegenwärtige Rentensystem durch ein anderes zu ersetzen, so logisch es klingen mag, ist falsch. Die Befürworter wissen das genau und werden trotzdem nicht müde, die private Eigen vorsorge als geeigneten und sogar besseren Ausweg zu loben. Wie weit hier Bestechungsgelder an die Parteien, von den Versicherungsgesellschaften bezahlte Seminare für Abgeordnete, hochdotierte Vortragshonorare an Politiker seitens der Versicherungswirtschaft eine Rolle spielen, ist ein Kapitel für sich, und soll hier nicht näher erörtert werden. Nur so viel: Der »Spiegel« deckte im Sommer 1985 die Ursache für viele falsche gesetzliche Regelungen auf, und stellte fest, dass die Versicherungsbranche die für die Gesetzgebung zuständigen Politiker seit Jahrzehnten mit Wahlkampfspenden in jährlicher Millionen-

höhe wohlgesonnen stimmte, um nicht zu sagen »schmierte«.

Aber vergleichen wir doch einmal den bewährten Generationenvertrag mit einer privaten Altersversorgung. Die Unterschiede sind enorm, obwohl die Kosten in beiden Fällen die gleichen sind. Denn die Kosten betragen heute und morgen in der gesetzlichen Rentenversicherung rund 20 Prozent vom erzielten Einkommen. Mehr wird die Masse der Arbeitnehmer auch in Zukunft kaum von ihrem Arbeitslohn abzweigen können, um dafür Aktien zu kaufen oder Lebensversicherungen abzuschließen. Die Beitragsbelastungen bleiben also in beiden Fällen die gleichen.

Bei den Leistungen ändert sich dagegen viel. Beim jetzigen Generationenvertrag werden die aus dem Versicherungsverlauf errechneten Renten nicht nur vom Staat garantiert, sie sind auch fest

verknüpft mit den jeweils gültigen Löhnen und Gehältern. Steigen diese, steigen auch die Renten. Damit ist eine hohe Währungssicherheit gegeben (Denken wir an den Euro mit seinen vielen Fragezeichen). Durch diese Dynamik ist der Rentner vor Pleiten, Betrügereien und Inflationsschüben sicher. Bewusst wurden 1957 die Erfahrungen der Inflation von 1921 und die der Währungsreform von 1948 eingebaut. Es wäre unverantwortlich, diese Erfahrung künftig zu ignorieren. Reichen bei hoher Arbeitslosigkeit die Beiträge der Beschäftigten nicht aus, oder hat der Staat zu kräftig an der Inflationsschraube gedreht, muss ein Ausgleich aus Steuermitteln, aus denen ja auch die Beamtenpensionen bezahlt werden, erfolgen. Dazu ist man auch aus anderen Gründen verpflichtet, weil unsere Rentenversicherung in zunehmendem Maße

mit versicherungsfremden Leistungen belastet wurde. Gemessen an der Beamtenversorgung ist das Rentenniveau von 70 Prozent keineswegs zu hoch, eher zu niedrig, weil es nur vom Durchschnittseinkommen abhängig ist, im Gegensatz zu den Beamten, deren Pensionen von den Höchstgehältern der letzten Jahre abgeleitet werden.

Eine nicht leistungsbezogene Grundrente, die kaum dynamisch sein wird, plus Eigenvorsorge durch Lebensversicherungen und Aktien ist in ihrem ersten Teil unsozial, und in ihrem zweiten Teil für die meisten ein abenteuerliches Lotteriespiel.

Die Tendenz, den jüngeren Arbeitnehmern eine andere Altersversorgung schmackhaft zu machen, ist unaufrichtig. Das Schlagwort von der so genannten Eigenverantwortung ist es noch mehr. Man will doch nicht eine irgendwie geartete Beitragspflicht für die verschiedenen Wechselfälle des Lebens, wie Alter, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit völlig abschaffen, was einer Katastrophe gleichkäme.

Die Befürworter einer Änderung unseres seit 1957 bestehenden Rentensystems spekulieren auf die Unerfahrenheit der Jugend. Ein schändliches Spiel, dem Einhalt zu gebieten ist, damit diese mit großem Kapitalaufwand betriebene Volksverdummung nicht siegt. Wir haben die beste Rentenversicherung der Welt, neue Rentenmodelle sind weder notwendig noch sinnvoll.

Nicht die Zahl der Beschäftigten im Verhältnis zu den Rentner, die es in den nächsten Jahren gibt, entscheidet darüber, ob die Renten bezahlbar bleiben, sondern einzig und allein, was die Wirtschaft insgesamt in diesen Jahren leistet. Wenn ihre Kraft auch bei wenigen Beschäftigten so stark ist, dass sie alle Soziallasten tragen kann, haben wir keine Probleme. Wenn das wider Erwarten nicht der Fall sein sollte, müssen alle etwas kürzer treten, und zwar klugerweise in der Reihenfolge, zuerst die Abgeordneten und dann die Beamten und Rentner.

Hans Göttsche 31224 Peine