nd-aktuell.de / 22.10.1999 / Politik

Humor und Melancholien

Werner Liersch

Irgendwann schreibt jeder Schriftsteller über den Tod. Eines der schönsten Stücke Prosa über alles Lebens Ende in der deutschen Literatur stammt von Manfred Wolter. Wolter hat es 1989 geschrieben und mit der Zeile »Mitten wir im Leben sind« überschrieben, bei der wir wissen, was dazu gehört: »Mitten in dem Leben sind Wir vom Tod umfangen«, hat Martin Luther das alte Kirchenlied »Media vita in morte sumus« übertragen. In Wolters Erzählung wird ein Grab geschaufelt. Der Friedhof lagert um ein märkisches Kirchlein. Wolter wird ein ähnliches Grab haben. Nach Krankheit und Leiden von monatelanger Dauer ist Manfred Wolter 61jährig an den Folgen eines Schlaganfalles gestorben. In den letzten Jahren lebte er in einem kleinen Ort bei Erkner.

»Was werden wir sehen, und werden uns unsere lebensgläubigen Lichtbilder beim Sterben helfen ...« steht in seiner Erzählung. »Selbst wenn diese Verheißungen in großen, roten Buchstaben über dem Sterbelager hingen wie Losungen, werden sie nicht ausreichen.« Der Biss dieses wütenden Hundes lässt sich nicht ausgleichen, steht bei Wolter. Ein großer schwerer Mann. Ein Pfeifenraucher. Ein Vorsichtiger und Unbedingter. Ein Mensch voller Humor und Melancholien. Nie bekam man ihn in ein Flugzeug. Er liebte das Leben heftig und war voller heftiger Erfahrungen über seine Bedrohtheit. Er schrieb u. a. Satiren und Grotesken »Der vierzigfädige Tod« (1977), »Polterabend in Kuhfelde« (1980), hatte Klassische Philologie und Germanistik studiert, war Lektor und für die DEFA Dramaturg. Für die Potsdamer Filmgesellschaft schrieb er Filme wie »Asta mein Engelchen« (1981), hatte mit Aufführungsschwierigkeiten zu

tun, machte nach der »Wende« den Dokumentarfilm über Stefan Heym »Von der Normandie in den Bundestag« und hatte Schwierigkeiten, den Film aufzuführen. Ein behindertes Kind ließ ihn aus unausweichlicher Nähe das Schicksal Behinderter erleben. Wolter schrieb 1987 dazu ein großes Protokollbuch »Frank - Umweg ins Leben«, bekam im gleichen Jahr den Preis des Albert Schweitzer-Komitees der DDR, brachte 1990 den Film »Rückwärtslaufen kann ich auch« heraus und leitete von 1992 an den.Berliner Zirkel »Literatur und Behindertes Leben«, bis er 1997 in die Leitung des Gerhart-Hauptmann-Museums in Erkner eintrat. Auch das war sein Element. Von Bildung und Erfahrung her sowieso. Doch auch als »Animator«, wie er sich als Macher verschiedener Anthologien bezeichnet hatte, in denen er die Kollegen auf eine Reihe interessanter Themen lenkte. Wolter begründete in Erkner gleich eine Lesereihe neuer Literatur. Endlich hatte der ausgesteuerte DDR-Autor auch wieder eine gewisse materielle Basis für das eigene Schreiben.

Manfred Wolter wird uns fehlen. Dass sein Werk nicht verloren geht, obliegt der neuen gesamtdeutschen Literatur.