nd-aktuell.de / 10.11.2001 / Brandenburg

Zeitungszusteller drohen mit Streik

Gewerkschaft will Tarifverträge durchsetzen / Streit um Zeitschriften

Andreas Fritsche
Für etwa eine halbe Million Berliner gehört zur Frühstücksschrippe eine Tageszeitung. Möglicherweise müssen sie eines Morgens ohne ihr Blatt auskommen. Die Zeitungszusteller drohen mit Streik. In Neukölln und Schöneberg wurden zu Wochenbeginn entsprechende Hinweise an die Abonnenten verteilt. Der Lohn befinde sich auf dem Niveau von 1993, und für die Zustellung von Zeitschriften bekomme man wesentlich weniger Geld als ein Postbote, heißt es in dem Flugblatt. Die Zustellung aller in Berlin erscheinenden Tageszeitungen organisiert die Berliner Zustell- und Vertriebsgesellschaft für Druckerzeugnisse (BZV). Zusätzlich werden die überregionalen Blätter aus Frankfurt/Main und München sowie Zeitschriften wie »Spiegel«, »Zitty« und »Tip« gesteckt. Gesellschafter der BZV sind die Verlage Springer, Tagesspiegel und Gruner+Jahr. Die BZV vergibt Aufträge an 23 Vertriebsagenturen in den Bezirken. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di möchte jetzt erstmals Tarifverträge abschließen- mit den Agenturen, der BZV oder den Verlagen. Für die Aufnahme von Verhandlungen habe er diesen eine »kurze Frist« gesetzt, sagt Gewerkschaftssekretär Manfred Föllmer. Er fordert unter anderem ein höheres Salär für die Zeitschriften. An denen hat der Zusteller schwer zu tragen, er bekommt jedoch das gleiche Entgelt wie für Zeitungen: etwa 17 Pfennig pro Exemplar und Tag. Das macht monatlich 4,50 Mark. Damit verdienen Berliner Zusteller allerdings vergleichsweise gut. Nach Zahlen des Verbandes der deutschen Zeitungsverleger von 1999 liegt der Bundesdurchschnitt bei 2,85 Mark. Doch BZV-Geschäftsführer Olaf Reich vermutet, dass es Ver.di gar nicht ums Geld geht. Der Gewerkschaft sei ein Dorn im Auge, dass Zeitungszusteller im Zuge der Liberalisierung des Postmarktes auch Zeitschriften austragen dürfen. Das sehe die Gewerkschaft nicht gern, weil Postbeschäftigte besser organisiert seien. Von etwa 2000 Zeitungszustellern in Berlin sind rund 140 Ver.di-Mitglieder. Doch selbst wenn nur die streiken, zeigt das schon Wirkung, findet Föllmer. Reich dagegen versichert, dass eine Arbeitsniederlegung durch Vertretungen zu kompensieren wäre. Haustürschlüssel dürften die Zusteller nicht blockieren, da sie der BZV gehören. Wenn die Agenturleiter für Zeitschriften das Doppelte zahlen würden - wie von den Gewerkschaften gefordert - dann lohne sich das nicht mehr, erklärt Reich. Die Aufträge müssten abgegeben werden. Sie fielen wieder an die Post. Der Geschäftsführer räumt ein, dass die Löhne pro Zeitung lange nicht gestiegen seien. Aber seit Anfang der 90er Jahre wurden in Berlin vier verschiedene Zustellsysteme in der BZV konzentriert. Auf der selben Wegstrecke trage der Zusteller mittlerweile die doppelte Menge an Zeitungen aus, was sich auch im Nettoverdienst niederschlage, so Reich. Wegen des Flugblattes erwägt die BZV juristische Schritte. Der Lohn von Berliner Zeitungszustellern reicht von einem Zuverdienst um die 300 Mark monatlich bis zu 2500 Mark. Hohe Summen erreicht man bei Touren in Hochhausgebieten, wie etwa an der Leipziger Straße in Mitte, wo pro Hauseingang sehr schnell viele Zeitungen gesteckt werden können. Der größte Teil der Zusteller erhält um die 1000 Mark monatlich. Damit zeigte sich eine Zustellerin aus Prenzlauer Berg gegenüber ND durchaus zufrieden. Sie arbeite dafür jede Nacht drei Stunden. Von einem bevorstehenden Streik hat sie nichts gehört.