nd-aktuell.de / 01.10.2005 /

Misstrauen gegenüber Ostelbien

Warum Adenauer vor 60 Jahren kein einiges Deutschland wollte

Günter Benser
In seinen Memoiren rühmt sich Konrad Adenauer (Foto:dpa), »daß er auf der Weißen Liste der Amerikaner als Nr. 1 geführt«, also »als besonders vertrauenswürdig beurteilt« wurde. Die amerikanische Besatzungsmacht setzte den damals schon vor Vollendung des siebenten Lebensjahrzehnts stehenden Adenauer auch prompt als Oberbürgermeister von Köln ein - in jenes Amt, das er bereits von 1917 bis 1933 ausgeübt und das ihm Einfluß im gesamten Deutchen Reich verschafft hatte. Bald darauf wurde jedoch (entsprechend den alliierten Vereinbarungen) Köln Teil der britischen Besatzungszone. Deren Befehlshaber schätzten Adenauer nicht so sehr, sondern enthoben ihn am 6. Oktober 1945 seines Amtes, weil er den Aufgaben nicht gerecht geworden sei. Dies geschah mit der Auflage: »Sie werden weder direkt noch indirekt irgendeiner wie auch immer gearteten politischen Tätigkeit nachgehen.« Sollte eine derart rigide Auflage tatsächlich wegen Unfähigkeit eines in der Kommunalpolitik erfahrenen Oberbürgermeisters ausgesprochen worden sein? Da melden sich erhebliche Zweifel. Wahrscheinlicher ist: Den Briten war zu Ohren gekommen, dass Adenauer begonnen hatte, in großer Politik zu machen und außenpolitische Fäden zu spinnen. Am Tage vor seiner Amtsenthebung hatte er einer Vertreterin des »News Chronicle« und der Associated Press ein Interview gegeben, in dem er seine Vorstellungen von einem Rhein-Ruhr-Staat entwickelte. Doch schon Wochen vorher hatte er ein Memorandum verfasst, das er mit Hilfe des ihm nahestehenden Schweizer Generalkonsuls Franz Rudolf von Weiss nach Paris lancierte. Darin hieß es: »Das von Rußland besetzte Gebiet scheint für eine nicht zu schätzende Zeit aus den Betrachtungen ausscheiden zu müssen.« Im Bestreben, die Auswirkungen der Kriegsniederlage für das rheinisch-westfälische Großkapital zu mildern, empfahl Adenauer - seine separistischen Ambitionen aus der Zeit nach dem ersten Weltkrieg aktualisierend - die Bildung eines Rheinstaates. Dafür sollte Paris mit der Offerte gewonnen werden: »Stärkung der wirtschaftlichen Kraft Frankreichs durch Verflechtung mit einer leistungsfähigen rheinischen Industrie«. Für das übrige Deutschland hielt Adenauer folgendes Rezept parat: »Aus den Teilen, die bei Schaffung eines Rheinstaates übrigbleiben, dürften wohl zwei Staaten zu bilden sein. Diese dann bestehenden drei Staaten könnten dann ein loses, dem Commonwealth entsprechendes völkerrechtliches Gebilde werden. Alle drei Staaten müßten von einander unabhängige Außenpolitik treiben dürfen, insbesondere eigene - jeder für sich - Außenvertretungen haben.« Da kann es nicht überraschen, dass für Adenauer das Potsdamer Abkommen ein Greuel war. Dessen Auflagen waren gewiss in vielerlei Hinsicht drückend, jedoch für eine konsequente Abrechnung mit dem Faschismus überwiegend unerlässlich. Im Gegensatz zu Adenauers Rhein-Staat-Plänen hatten die während der alliierten Nachkriegsplanungen erörterten Projekte der Aufgliederung Deutschlands hierin keinen Eingang gefunden. Das Recht auf einen eigenen Staat war den Deutschen - die Liqudierung aller Überreste des NS-Regimes vorausgesetzt - nicht abgesprochen worden. Dennoch dennuzierte Adenauer die Ergebnisse der Potsdamer Konferenz als »die Ursache für die Not und das Elend, in das Deutschland versinkt, für die Hungersnot und die Notlage der Wirtschaft«. Deutschland jenseits der Elbe hatte Adenauer für unabsehbare Zeit erst einmal abgeschrieben. Selbst seinen christdemokratischen Kollegen in Berlin zeigte er die kalte Schulter, um so mehr, als diese zunächst mit der Losung eines »christlichen Sozialismus« in die neue politische Arena einstiegen. Ohnehin war für Adenauer Berlin als deutsche Hauptstadt nicht hinnehmbar. Der deutsche Regierungssitz sollte nicht zwischen märkischen Kartoffeläckern, sondern unter den Reben des Rheins liegen. Mit der Vaterlandsliebe des von einer Fernsehshow nach dem Plädoyer des Chefgeschichtserklärers Guido Knopp zum größten Deutschen aller Zeiten gekürten Konrad Adenauer war es nicht weit her. Seine Aversion gegen Berlin teilte Adenauer mit anderen Gründervätern der BRD. Sein liberaler Kollege Reinhold Maier aus Württemberg-Baden berief sich - wie neuerdings Herr Stoiber - darauf, dass »im Südwesten die überlegene Begabung« liege. Er wandte sich gegen die »Asphaltdemokratie Berliner Prägung« und rühmte die »bodenständige Demokratie... mit gesunden konservativen Elementen«. Für den späteren CSU-Bundestagsabgeordneten Richard Jaeger durfte ein Reich »mit Berlin als Hauptstadt« nie wiederkehren. In einer CSU-Gesprächsrunde war davon die Rede, dass »Berlin niemals wieder das Zentrum eines neuen Deutschlands sein könne«. All diese Äußerungen zeugen vom Widerwillen gegen den aufklärerischen, freidenkerischen Geist, der in Berlin zu Hause war, und vom Abscheu gegen die proletarisch-revoltuionären Traditionen dieser Stadt. Wer sollte angesichts solch früher Weichenstellungen ernstlich daran glauben, daß es sich bei den skandalösen Verlautbarungen der Herren Stoiber und Schönbohm um Ausrutscher handelte? Es war und ist das gleiche tiefe Unbehagen gegenüber dem Osten, das Misstrauen gegen eine ihnen fremde Mentalität und Sozialisation, die Feindschaft gegen alles, was links ist oder gilt.