nd-aktuell.de / 17.11.1999 / Politik

Image ist nichts - Durst ist alles

Plumper Versuch der Werbeindustrie, Interessen wissenschaftlich zu verkleiden Alkohol

Von Jan-Cesar Woicke

Was ist von einer Studie zu halten, die den Kausalzusammenhang zwischen Werbung und dem Alkoholkonsum von Jugendlichen untersucht - finanziert von der Alkoholindustrie?

Sie wollen doch wissen, ob ich käuflich bin, oder?« Die Formulierung des fragenden Journalisten bei einer gemeinsamen Pressekonferenz von Reinhold Bergler, Professor am Psychologischen Institut der Universität Bonn, und dem Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) gestern in Berlin war freilich weniger direkt. Ob denn auch Drittmittel geflossen seien, wollte der Kollege wissen. »Das würden Sie nicht fragen, wenn Sie meine Biografie kennen würden«, versuchte der Wissenschaftler abzulenken. Bei jeder Studie müsse er auf Betteltour bei Wirtschaftsunternehmen gehen, Immerhin räumte er ein, »die eine oder andere Brauerei war auch darunter«. Ein Interessenkonflikt? »Nein, warum?«

Auf 345 Seiten weist die Studie »Ursachen des Alkoholkonsums im Jugendalter«, ab Januar 2000 für rund 30 Mark im Deutschen Instituts-Verlag, Köln, erhältlich, angeblich nach, dass »Werbe- und Vertriebsverbote für alkoholhaltige Getränke zum Zwecke des Jugendschutzes Ausdruck der Hilflosigkeit der Gesundheitspolitik gegenüber Symptomen sind, die in einem völlig anderen Begründungszusammenhang gesehen werden müssen«. Das Gutachten gipfelt in der Feststellung, dass »nicht Werbung das Trinkverhalten mitbeeinflusst, sondern das Trinkverhalten die Einstellung zur Werbung steuert«.

Um zu diesem Freispruch erster Klasse für die Werbeindustrie zu gelangen, hat der Professor nach eigenen Angaben mit seiner Forschungsgruppe »wissenschaftliches Neuland« betreten. Kaum zu glauben angesichts der Sammlung von Platitüden und Selbstverständlichkeiten, die Bergler gestern auftischte und für die 997 »demographisch repräsentativ« befragte Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren herhalten mussten. Die Ursache für frühen und relativ intensiven Alkoholkonsum liege »in der Problemphase der Pubertät

begründet«. Jugendliche, die mit ihrer Entwicklungsaufgabe nicht zurechtkommen, griffen zum Alkohol als einem Ersatz-Problemloser. Eine weitere zentrale Ursache des Fehlverhaltens bei Jugendlichen im Zusammenhang mit Alkohol liege doch tatsächlich »in einer konfliktträchtigen Eltern-Kind-Beziehung«. Potz Blitz!

Der Körpersprache nach zu urteilen, merkte ZAW-Sprecher Volker Nickel recht bald, dass der Versuch, den Verbandsinteressen einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen, allzu durchsichtig war. Nach der großflächig plakatierten Mitleidstour (»Werbeverbote vernichten Arbeitsplätze«) drängt sich nun der Eindruck auf, dass die Werbeschaffenden im Ringen mit den Befürwortern eines zumindest modifizierten Alkohol-Werbeverbots auf verlorenem Posten stehen. Hintergrund sind entsprechende Vorstöße der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der EU-Kommission, des Bundesgesundheitsministeriums sowie einzelner Bundesländer - für Nickel eine »nationale, kontinentale und globale Kampagne gegen den werbenden Wettbewerb«.

Die WHO strebt nach Erklärungen ihrer Generaldirektorin Gro Harlem Brundt-

land ein weltweites Totalverbot für Alkoholwerbung an. Das WHO-Gerneralkommitee Europa (51 Mitgliedsstaaten) hat in einem europäischen Aktionsplan das Ziel gesteckt, bis zum Jahr 2005 umfassende Werberistriktionen einzuführen. So soll die Alkoholwerbung auf reine Produktinformation reduziert, eine »Totalzensur« (Nickel) für alle Funkmedien eingeführt und die Werbung bei Sportveranstaltungen verboten werden. Nach dem Willen der EU-Kommission sollen unter anderem Alkohol-Werbemaßnahmen in Fernsehoder Radiosendungen untersagt werden, die sich primär an Kinder und Jugendliche richten.

Auf nationaler Ebene schoss sich Nickel besonders auf die bündnisgrüne Staatssekretärin und Drogenbeauftragte des Bundesgesundheitsministeriums, Christa Nickels, ein, die Bundestagsabgeordnete »fehlinformiert« habe. So sei es keinesfalls »wissenschaftlich erwiesen, dass Alkoholwerbung den Konsum von bereits trinkenden Personen steigern oder diese davon abhalten kann, ihren Konsum zu reduzieren«. Vielmehr sei bereits auf Beamtenebene im Bundesgesundheitsministerium bekannt, dass wissenschaftliche Zusammenhänge zwischen Werbung und Alkohol-Konsumverhalten nicht existieren. Zumindest daran hat sich mit dem Gutachten von Reinhold Bergler nichts geändert.