Wenn das Windrad im Dorfe bleibt
Studie untersucht dezentrale Konzepte zur Energiewende im ländlichen Raum
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Energiewende zu einer der wichtigsten Angelegenheiten ihrer Regierung erklärt. Conrad Kunze, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Sozialwissenschaftliche Umweltfragen, der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus, sieht im forcierten Umschwenken auf erneuerbare Energien keinen kurzzeitigen Trend. Die Nuklearkatastrophe von Fukushima war nur der letzte Anstoß, der auch die etablierten Parteien zum Handeln bewegte.
Diese Entwicklung sei laut Kunze vorhersehbar gewesen und habe sich angekündigt. Die große Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung hatte sich mehrfach für einen Umstieg auf erneuerbare Energien ausgesprochen. Ein Anteil von 20 Prozent erneuerbarer Quellen an der Elektrizitätsproduktion im Jahr 2011 bot zudem eine realistische Ausgangsposition.
Für Kunze steht die große Umwälzung der Energieproduktion noch aus. In einer Studie hat er eine wachsende Zahl selbstbestimmter Projekte zur Energiegewinnung im ländlichen Raum beobachtet. Eine ostdeutsche Energieregion mit sieben unterschiedlichen Kommunen, die vom demografischen Wandel stark betroffen sind, hat er näher untersucht.
Sehr detailliert stellt Kunze die Ausgangssituation, die handelnden Akteure, ihre Motivation und Ziele und die Art der Partizipation von Interessengruppen vor. Zum Schutz seiner Gesprächspartner, die ihm sehr freizügig berichteten, hat Kunze die Gemeinden und handelnden Personen mit Phantasienamen anonymisiert. Das ist verständlich und gleichzeitig schade, da es weitere Recherchen und Kontaktaufnahmen erschwert.
Als Vorbild diente den untersuchten Gemeinden die österreichische Kleinstadt Güssing. Dem 3800-Einwohner-Ort ist es Anfang der 1990er Jahre mit EU-Fördergeldern gelungen, ein Energiekonzept zur unabhängigen und nachhaltigen Energiegewinnung umzusetzen. Güssing hat so Einfluss auf die Energiepreise und verringert Kaufkraftabfluss durch Energieimporte. Neue Arbeitsplätze in der Region entstanden.
Kunzes Fallstudie favorisiert dezentrale Konzepte der Energieversorgung: Über Wind- und Solarparks sollte nicht in entfernten Verwaltungen, sondern in jedem betroffenen Dorf selbst entschieden werden. Eine Rückübertragung der politischen Gewalt auf die Ebenen der Gemeinden sei wünschenswert. Eine dezentrale Verteilung der Verantwortung habe den Vorteil, das Risiko politischer Blockaden auf Bundes- oder EU-Ebene zu verringern. Mehr Eigenverantwortung für Dörfer fördere »kollektive soziale Lernprozesse«.
Das »soziale Vakuum« der industrialisierten Landwirtschaft, das viele Dörfer in Ansammlungen nebeneinander lebender Menschen verwandelt habe, könne wieder zu einem »lebendigen Gemeinwesen« gemacht werden. In einer selbstbestimmten regionalen Energieversorgung sieht Kunze eine »Chance für die Zivilgesellschaft«. Sie wird wiederbelebt und ihr wird eine neue Perspektive geboten.
Conrad Kunze: Soziologie der Energiewende. Erneuerbare Energien und die Transition des ländlichen Raums. ibidem-Verlag. Stuttgart 2012. 186 S., 24,90 €.
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