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Ein Maskenfall

Yasmina Reza an den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Bei einer Lesung gewesen. Im Deutschen Theater Berlin. Die Bühne der Kammerspiele als eine Art Amphitheater. Aufsteigende Sitzreihen. Unten die Plätze für Autorin und Moderatorin. Vorerst aber das elende Abwarten vorm Absperrseil - dann Sturm: freie Platzwahl. Das bewährte Bloßstellungsmodell. Freiheit an völlig falscher Stelle. Beweisnot drückt, als sei auch das Theater nur wieder das blöde Leben: Alle drängeln nämlich, aber keiner will so aussehen. Aber man kann sich selber zuschauen, wie man auf der Suche nach einem Sitz zum Brachialdarwinisten wird. Oder sich - halb selbstwertrettend, halb weggeschoben - zurückfallen lässt im Strom, dann freilich abendlang damit zu tun hat, auf einem ungünstigen Platz zu hocken. Man kann in einem Theater sitzen, als sitze man in sich selber fest, und zwar hinten, wie immer. Oder vorn, wo man gar nicht hingehört und daher die ganze Zeit von der unangenehmen Fantasie gefesselt wird, die Schauspieler könnten einen auf die Szene zerren. Nötigungsängste. Regie kann abgeschmacktestes Handwerk sein.

Das Ganze gehört schon zum Stück, das Stück ist die Lesung. Corinna Harfouch als Schriftstellerin, Katrin Wichmann als Interviewerin, Alexander Khuon als Organisator des »Literarischen Sonnabends« in der Mehrzweckhalle einer französischen Provinzstadt. Im Berliner Publikum sitzt Yasmina Reza, die Autorin von »Ihre Version des Spiels«, Regie: Stephan Kimmig. Eine Uraufführung.

Reza ist in ihren besten Stücken (»Kunst« etwa oder »Der Gott des Gemetzels«) eine begnadete Jongleurin mit den Selbstbewusstseinsrauschtabletten des gehobenen Bürgers. Hochwerfen die Tabletten, sie über offenen Mündern kreisen lassen. Sie schlucken lassen. Geduldig warten, bis der Kotzanfall kommt. Kletterei an Schönfassaden der höheren Sittlichkeit, des edlen Geschmacks - bis alles in Kläglichkeit fällt; man ist plump und plemplem auf Pömps. Irgendwo zwischen Tschechow und Neil Simon.

Hier also nun die Schriftstellerin, die einen Roman über den Mordplan einer - Schriftstellerin schrieb. Das Interview darüber wird zum Verhör, wie viel an realem Hintergrund die Story wohl berge. Was gibt Sprache frei, was verweigert sie? Worin sind wir verlässlicher? In dem, was wir zueinander sagen, oder in dem, was wir voreinander verschweigen? Schreiben als Weltschöpfung und Ich-Verhüllung, als Weltvernichtung und Ich-Preisgabe. Eine Schriftstellerin in den Beißzähnen des Literaturbetriebs, der Literaturbetrieb wiederum als Impuls, sich der Gefährlichkeit, der Selbstverletzungsenergie des Schreibens bewusster denn je zu werden. Am Ende eine Party, die hineinkippt in die niederste Suffgosse.

Aber seltsam: Es funkelt diesmal kaum, und für überspringende Melancholie ist alles zu insiderisch, Kimmig geht zum Glück befreierisch derb ans Werk. Und zum Glück ist die Harfouch die Harfouch: schön grob, und in aller Grobheit schön. Lauernd wie ein Wildwesen und listig lächelnd, ehe sie, gegen die Bedrängungen, zurückschlägt - mit ihrem trotzigem Schweigen, ihrem schrägen Grinsen, ihrer brüllenden Aufgelöstheit, ihrer fast lasziver Direktheit. Immer ist da eine wundzergrübelte Einsamkeit; die Abwehrsoldatin stets auch als Gejagte. Eine Ertappte? Ein Zittern, wenn sie die Brille aufsetzt. Ein Zetern, wenn sie Antwort geben soll. Immer wieder ein Zusammenbrechen, offengelegt in zahllosen Varianten der äußerlichen Beherrschtheit.

Sie setzt sich und ist doch auf dem Sprung; sie steht fortwährend fluchtwärts auf und kommt doch nicht weg, steckt quasi zwischen den Deckeln ihres eigenen Buches wie in einem Glashaus, in das alle starren - sie will raus und verteidigt doch diese letzte Zelle einer merkwürdig unfassbaren Freiheit.

Aus der Handtasche zerrt sie ihre Bücher und wirft sie, als ließe sie Vögel frei. Auf den kleinen Tisch haut sie derart, dass sich aus der Vase eine Rose hinab auf den Boden stürzt. Eine Videowand zeigt, wenn sie liest, ihr verwackeltes, verwitterndes Gemüt. Später, beim Cocktailempfang, wird sie betrunken ein Lallkonzert geben, zum Gilbert-Becaud-Klavierhämmern des jungen Veranstalters. Der Alkohol ist ein Lüstling fremden Schmerzes, und so lallt sie genüsslich jene Gedichte von Khuons Jüngling vor, die der ihr heimlich, in Hoffnung aufs Expertenurteil, zugesteckt hatte. Nun steht er in seiner Scham wie ein Würstchen in der Blumenvase.

Alle zusammen: ein Maskenball, bei dem die Schriftstellerin Gesicht wahren will. Dann ein Maskenfall, der auch sie nicht verschont. Irgendwann in den zwei Stunden weiß man, dass man guten Schauspielern zuschauen kann, ohne suchend ans Stück zu denken. Katrin Wichmann als Moderatorin spielt trefflich, wie man einen Medienmenschen anknipsen kann wie kaltes Licht: dies lächelnde »Ich freu mich auf Sie!«, »Was kann ich für Sie tun?« Und dann tut man, was einem an Bosheit so geboten ist. Alexander Khuon ist der aufgeregte, flatternde Organisator der Lesereihe, der tapfer-komisch gegen die Entgleisungen des Abends kämpft. Sven Lehmann als Bürgermeister: auch Elegiker einer unverstandenen Existenz, er redet über Proust und Cracker, scheint beides zu verwechseln; die Runde rutscht ins Jämmerliche, das von Beginn an erwartbar über der Kunstlichtszenerie lag.

Es gibt einen Boulevard, der glücklich darüber macht, dass es noch anderes gibt als das Elend der Lage. Aber es gibt auch einen Boulevard, der so künstlich geistgewollt aus der sehrgutbürgerlichen Salonecke glänzt, dass einen das Elend der Lage nur umso mehr bedrängt. Und also Verstimmtheit aufkommt. So ist das hier. Feingesinnte Routine an der gut geölten Strickmaschine. Solid, solid, so light. Da erwacht der Wunsch nach Rückrufaktion: die Harfouch zurück in einen ledernen, lausigen, liederlichen Castorf!, Wichmann und Lehmann zurück in einen strengen, sirrenden, schneidenden Thalheimer!, und Khuon und alle zurück in einen wirklichen traurigen, trocken witzigen, theaterstaunverliebten Kimmig.

Im Programmheft steht was von Luc Bondy - seine wohl zartbesaitet, tupfend zu vermutende Regie fiel zum Glück flach. Aber Kimmigs tragödisch bestückter Kabarettversuch führte auch nur zu einer Lüge: dass man sich als Zuschauer nach vorn beugte, als sei man gespannt. Aber die einfache Wahrheit war: Den Sitzplätzen fehlten die Rückenlehnen.

Nächste Vorstellung: 6.10.

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