nd-aktuell.de / 06.10.2012 / Kultur / Seite 24

Spiele und Spieler

»Der Weg nach Oobliadooh« von Fritz Rudolf Fries

Werner Liersch

Als im Herbst 1995 die Jury des Hans-Fallada-Preises der Stadt Neumünster, der Fallada den Stoff von »Bauern, Bonzen und Bomben« dankt, die Entscheidung traf, den Preis des Jahres 1996 an Günter Grass zu verleihen (»Ein weites Feld«), war die nächste für die Jury schwierige Frage, wer übernimmt die Laudatio auf den großen Grass? Ich glaube, ich war es, der den kleinwüchsigen Fritz Rudolf Fries vorschlug. Fries verstand sich in Roman, Erzählung, Übersetzung, Essay, er war in beiden Hemisphären der deutschen Literatur zu Hause, ein Fries verstand sich auch auf einen Grass.

Fries hielt am 26. Februar 1996 in Neumünster eine fulminante Rede »Ostelbische Wanderungen mit Günter Grass«. Sie berührten Neuenhagen im Weichbild von Berlin, wo Fallada 1931 gewohnt hatte, Petershagen, wo Fries wohnte, sie berührten die Schrecken der Provinz, die »Erbärmlichkeit geduckter Häuser«, von denen Fallada eins bewohnt hatte, sie sprachen von der »wunderbaren Isolation der Provinz«, in der Fries um 1966 seinen ersten Roman »Der Weg nach Oobliadooh« begonnen hatte. Es gibt Dinge, die schafft man nur in angemessener Kenntnis der Gefahr, oder in angemessener Unkenntnis. Der Autor Fries hielt sich beim Schreiben das Nachdenken über die Veröffentlichung vom Leibe.

Es gab im Roman einiges, das die Zensur nicht mochte. Aus der Perspektive, was ein, zwei Jahrzehnte später in DDR-Büchern stand, nichts ausgesprochen Folgenschweres. Aber es war das Jahr 1966, Fries sprach von Funktionären, die »nur aufgeschwemmt dasitzen können«, es gab eine Polizei, die Züge mit Berlin-Reisenden durchkämmte, es gab vieles, dessen bloße Erwähnung schon einen Tabubruch abgab. Aber ganz und gar fremd war die Machart des Buches.

Eine Art Pointilismus beherrschte den Roman, wie ihn die Moderne in der Malerei begründet hatte. Punkt für Punkt tupfte Fries seine Geschichte hin, um die Punkte zu Bildern zu verschmelzen. Dem Bild der jungen Sehnsuchtssucher Arlecq und Paasch die spielerisch nach einem Leben irgendwie anders als die DDR suchen, irgendwie ähnlich den freien Lebensrhythmen des Jazz. Bilder von Leipzig, Dresden, der DDR 1956 /1957. Der Titel, »Der Weg nach Oobliadooh«, nimmt eine Zeile aus einem Song von Dizzy Gilespie auf »I knew a wonderful princess in the land of Oobliadooh«. Oobliadooh ist ein Name für die Vision des Menschen vom Menschlichen. Die mittelalterliche Chiffre dafür war der »Gral«. Arlecq und Paasch sind zwei modernisierte verjazzte Gralssucher.

Fries reichte das Manuskript einem DDR-Verlag ein. Er spielte mit dem Autor ein Stück nach den Verhältnissen. Der Verlag lehnte unter Vorwänden das Manuskript ab. Der Autor spielte seinerseits ein Stück nach den Verhältnissen. Der Suhrkamp Verlag wusste bereits von dem Manuskript. Fries zahlte den Preis der Spiele. Nach der Veröffentlichung bei Suhrkamp verlor er seine Anstellung bei der Akademie der Wissenschaften. Bis zum ersten Buch in der DDR, den »Seestücken«, dauerte es bis 1973. Das andere Spiel mit Fries im Zentrum endete in einer Katastrophe.

Ich glaube, an dem Februarabend nach der Preisverleihung 1996 tranken auch Grass und Fries in dem schönen Restaurant in Neumünster eiskalten Aquavit, aber ich mehr, ein Schatten kroch auf mich zu. Fries sollte mit der Stasi zusammengearbeitet haben. Nach vielen Jahren der Anschläge, hatte er sich 1972 zu einem »Pedro Hagen« machen lassen. Was man von ihm bekam, war meist Landeskundliches von seinen Reisen, das auch in Zeitungen stand. Ich pointilliere die Gegenwart der Sache. Nach dem Bekanntwerden trat Fries aus dem PEN, aus allen Akademien aus. Ein anderer, der Fall zufällig bekannt, einige Kilometer nordwestlich von Fries am Berliner Rand, zog sich nach Bekanntwerden von Kameradenbespitzlung in der NVA aus der Gemeindevertreterversammlung zurück, behielt jedoch im Ort und seinen Vereinen alle Ehrenämter.

Fries blieb immer auf dem Weg nach dem »land of Oobliadooh«. Der anderen betraf wohl nie eine solche Lebensmoral. Es geht ihm gut. Helmut Böttiger nennt im Nachwort zur Neuausgabe des Romans die Situation von Fries absurd, »Einer der wenigen wirklich herausragenden deutschen Schriftsteller der letzten Jahrzehnte befindet sich schon seit längerem im völligen Abseits«.

Fritz Rudolf Fries: Der Weg nach Oobliadooh. Roman. Mit einem Essay über Werk und Autor von Helmut Böttiger. Die Andere Bibliothek. 351 S., geb., 34 €.