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Stresstest für Alban Berg

»American Lulu«

  • Ekkehard Krippendorff
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Titel dieser Uraufführung an der Komischen Oper Berlin weckt Erwartungen. Alban Bergs »Lulu« erhält durch den Zusatz »American« eine besondere Attraktivität - die Handlung wird jetzt, statt im dekadenten Wien der zwanziger Jahre, in den USA der Bürgerrechtsbewegung angesiedelt. Warum nicht? Indem das klassische Muster der unterdrückten Frau, die ihre Karriere der Oberklassen-Prostitution verdankt, verschränkt wird mit der Problematik der Rassendiskriminierung, werden die dramatischen und psychologischen Spannungen noch komplexer. Bergs Musik hält das aus.

Gleichzeitig ist es jedoch nicht Bergs Musiksprache, die einem »Stresstest« ausgesetzt wird, sondern eine radikal neue Instrumentierung, deren im Original kammermusikalische Qualität über weite Strecken hier von den Bläsern erstickt zu werden droht (weshalb sich die Sänger mit Lautverstärkung Gehör schaffen müssen).

Die neue Instrumentierung bot sich aber auch insofern an, als Berg ja den finalen dritten Akt nicht mehr selbst komponieren konnte und eine Bearbeitung, sprich: Neuvertonung mit den beiden ersten Akten übereinstimmen musste, wozu Komponistin Olga Neuwirth das musikalisches Material neu instrumentierte - was in der Tat dann eine Uraufführung wurde.

Lulu ist als literarisches Geschöpf Wedekinds zum Inbegriff der männermordenden »femme fatal« und durch Bergs Libretto gewissermaßen das weibliche Gegenstück zu Don Giovanni geworden. Ob Neuwirths Lulu allerdings im Vergleich zu Berg an Komplexität gewonnen hat, ist sehr die Frage. Wohl eher nicht. Die Männer, mit denen sie es zu tun hat und die von ihr verführt werden, werden selbst als eine Phalanx graugekleideter kaum individualisierter Büromenschen vorgeführt - was wiederum Lulu daran hindert, selbst ihre meist kruden sexuellen Techniken wenigstens mit Eleganz und Charme vorzuführen.

Es ist der primitive Blick der Männer auf diese Frau als Sexualobjekt (stimmlich und schauspielerisch faszinierend Marison Montalvo), den Neuwirth ihrer Interpretation dieser Figur zugrunde legt: Sie kann Lulu aus feministischer Perspektive nicht leiden - und so stellt sie ihr eine aufgewertete lesbische Konkurrenz an die Seite, eine Anti-Lulu namens Eleanor, die sich nicht über die Männer, sondern über ihre Blues-Musikalität definiert (Vorbild Billie Holiday) und zeigen soll, dass die Prostitution nicht die einzige Karriere-Option für Frauen ist (Della Miles gelingt das unwiderstehlich).

Gewinnen wir neue Einsichten in diese weibliche Konstellation? Im Unterschied zu Lulu überlebt Eleanor. Ob die eingestreuten zeitgeschichtlichen Zitate - etwa Martin Luther King - politisch erhellend sind, wird wohl eher im programmatischen Beiheft erläutert als durch das Bühnengeschehen vermittelt: Wir sollten, wie der russische Regisseur und Bühnenbildner Kirill Serebrennikov anrät, aktiv mitdenken, den Text genau lesen und die Ohren spitzen - Oper dürfe bisweilen anstrengend sein. Aber das gilt auch für die unvollendete Berg’sche Lulu.

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