nd-aktuell.de / 08.10.2012 / Kultur / Seite 17

Kafka und Star Trek

Clemens J. Setz: »Indigo«

Werner Jung

Der Klappentext zu Clemens J. Setz' Roman versucht sich an einer Inhaltsangabe, um sogleich festzustellen, dass sich die Handlung jeder Zusammenfassung entziehe. Und so muss das wohl auch sein in einem Text, der so reichlich und freigiebig mit Anspielungen und Referenzen umgeht: Setz meets Kafka, Pynchon, Science Fiction, B-pictures, Star Trek, Bruce Lee and many many more ...

Um mindestens anzudeuten, worum es hier geht, nur so viel: Der Ich-Erzähler - hübscher Einfall - namens Clemens Setz, der in Physiognomie wie Biografie mit dem Autor tatsächlich diverse Einzelheiten teilt, kommt als junger Mathematiklehrer in ein Internat in der Steiermark, nach Helianau. Dort grassiert eine überaus merkwürdige Krankheit, nein, vielmehr eine seltsame, unter dem Namen Indigo-Syndrom bekannte Störung unter den Zöglingen, die sich dann auch auf die Bezugspersonen auswirkt, Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen und ähnlich unspezifische Reaktionen hervorruft. Nachdem jener Setz nach einem Streit mit der Schulleitung den Dienst dort quittiert hat, beschließt er, Recherchen - zunächst für eine Artikelfolge in der deutschen Ausgabe des »National Geographic« - anzustellen. Er besucht ehemalige Schüler und deren Eltern, stößt dabei auf allerlei Ungereimtes und Merkwürdiges - etwa sogenannte Relokationen der Zöglinge (sie wurden auf seltsame Weise »abgeholt« und kehrten nicht wieder) oder auf eine Organisation namens »Association for the Peaceful Use of Indigo Children«, deren Vorsitzender davon schwadroniert, dass man die Kinder »in eine bestimmte Gesellschaft (einschleuse), die destabilisiert werden soll«.

Very mysterious! Zumal Setz' Text diese Handlung in seiner Struktur abbildet, die neben ganz realistischen Elementen fantastische - kafkaeske - Züge aufweist, naturwissenschaftlich-technisches Wissen neben Trouvaillen aus literarischen Texten (z. B. von Johann Peter Hebel) ausbreitet und dem Ich-Erzähler in auktorialer Manier noch andere Perspektiven, etwa die des ehemaligen Schülers Robert Tätzel, hinzufügt. Dann werden noch die Zeitebenen durcheinandergewirbelt. Alles endet im Jahre 2021. Dadurch entsteht entweder ein verwirrendes Puzzle oder gar ein Labyrinth, in dem man sich - und das ist durchaus gewollt - nur verirren kann.

Einmal irgendwo auf halber Strecke des Textes findet sich ein Gespräch zwischen Setz und seiner langjährigen Freundin Julia, in dem von den Erlebnissen im Internat die Rede ist: »Das ist alles so absurd, diese Schüler, ich meine, ich weiß gar nicht, was das alles soll. - Das weiß niemand. - Sie sitzen hier in diesem riesigen Haus, weit voneinander entfernt, und he, das hab ich dir noch nicht erzählt, die Vögel hier ... oder hab ich's schon erwähnt? - Nein, was? - Die Vögel hier sind total komisch drauf. - Inwiefern? - Ach, ich weiß nicht ...«

Setz' große Kunst, die er bereits mehrfach gezeigt hat, zuletzt 2011 im preisgekrönten Erzählband »Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes«, besteht darin, dass er vieles nur umkreist, Lücken und Brüche aufzeigt, sich in ungeklärten Andeutungen verliert, um - vor allem dies - seine Leser gründlich zu irritieren. Gelungen ist es ihm allemal, ob man dies nun mag oder nicht.

Clemens J. Setz: Indigo. Roman. Suhrkamp Verlag. 479 S., geb., 22,95 €.