nd-aktuell.de / 09.10.2012 / Politik / Seite 7

Wem die Stunde schlägt

Libyens Regierungschef endgültig gescheitert - dafür dankt er Gott

Anne-Beatrice Clasmann (dpa), Tripolis/Istanbul
In acht Monaten wurde Libyens Langzeitmachthaber Gaddafi gestürzt. Für den Übergang zur Demokratie braucht das Land länger. Das Parlament hat jetzt den Regierungschef abgesägt - und der wirkt sogar erleichtert.

»Ich danke Gott, dass er mich von dieser Verantwortung befreit hat, um die ich nicht gebeten hatte.« Mit diesem Seufzer verabschiedet sich Mustafa Abu Schagur in der Nacht zum Montag aus dem Amt.

Nachdem das libysche Parlament zum zweiten Mal binnen einer Woche eine von ihm erstellte Kabinettsliste abgelehnt hat, ist er als Ministerpräsident erledigt. Wer an seiner Stelle jetzt Regierungschef werden soll, weiß niemand. Zwei Schritte vorwärts, ein Schritt zurück: Das ist der Rhythmus der jungen libyschen Demokratie.

Am Montag hieß es in Tripolis wieder einmal: Alles zurück auf Anfang. Die ungeliebte Übergangsregierung von Abderrahim al-Kib soll weiterhin die Geschäfte führen. Einen Termin für eine Abstimmung über einen neuen Ministerpräsidenten gibt es noch nicht. »So, und jetzt?«, fragt die Libysche Jugendbewegung (Schabab Libya) etwas ratlos.

Einige libysche Medien bringen nun Ibrahim al-Dabaschi als möglichen Regierungschef ins Gespräch. Der Diplomat war 2011 einer der ersten Funktionäre des Regimes von Muammar al-Gaddafi, die sich dem Aufstand anschlossen. Auch der Vorsitzende der größten Fraktion im Parlament, Mahmud Dschibril, kann sich wieder Hoffnungen machen. Er hatte im September, als die Abgeordneten Abu Schagur gewählt hatten, auch für den Posten des Regierungschefs kandidiert und war knapp unterlegen.

Doch vor allem junge Libyer befürchten, dass nach dem Ausscheiden des Kompromisskandidaten Abu Schagur jetzt ein langes Kräftemessen zwischen der liberalen Allianz von Dschibril und den Muslimbrüdern beginnen wird. Denn wie schwierig es ist, in einem Land ohne demokratische Tradition eine Regierung zu bilden, lässt sich aus den frustrierten Kommentaren von Abu Schagur herauslesen.

Den nicht-parteigebundenen Abgeordneten, die mit 120 Mandaten den größten Block im Parlament bilden, warf er vor, ihnen sei es unabhängig von der Qualifikation einzig und allein darum gegangen, dass er einen Minister aus ihrem Wahlbezirk auswählt. Dschibril soll versucht haben, Abu Schagurs Regierungsprogramm durch ein Dokument zu ersetzen, das seine Parteigänger formuliert hatten. Auch die Muslimbrüder, die Abu Schagur zunächst noch als Mann der Mitte gepriesen hatten, beschimpften ihn später als »schwachen Politiker«.

Schwach finden einige Libyer jetzt jedoch auch ihre Abgeordneten. Diese haben sich am Morgen nach der Abstimmung, die Abu Schagur zu Fall gebracht hat, versammelt, um zu besprechen, wie es nun weitergehen soll. Doch anstatt neue Kandidaten zu benennen, begannen sie eine hitzige Debatte darüber, ob sie nun einen Regierungschef aus den eigenen Reihen oder von außerhalb wählen sollen.