Teilchen in der Ionenfalle

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 2 Min.

Zu den faszinierenden Problemen der Physik gehört die Quantenwelt, deren Eigenschaften den Rahmen des gewöhnlich Vorstellbaren sprengen. Das rührt hauptsächlich daher, dass atomare Teilchen (Photonen, Elektronen etc.) keine Billardkugeln im Miniformat sind. Sie sind eher als subatomare Überlagerungszustände aufzufassen, die sensibel auf Einflüsse aus ihrer Umgebung reagieren. Eine der Herausforderungen der Quantenphysik besteht deshalb darin, solche Teilchen zu beobachten, ohne sie zugleich zu zerstören.

Dass dies heute möglich ist, verdankt die Wissenschaft den soeben gekürten Nobelpreisträgern für Physik: dem Franzosen Serge Haroche (68) und dem US-Amerikaner David Wineland (68). »Beide haben unabhängig voneinander Methoden zur Messung und Manipulation einzelner Teilchen entwickelt und dabei deren quantenmechanische Natur in einer zuvor unerreichten Weise erhalten«, begründet die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften.

Tatsächlich ist es Wineland und Haroche gelungen, atomare Teilchen so abzuschirmen, dass man sie untersuchen und beeinflussen kann. Das hat zwei Vorteile: So lassen sich einige Quantenphänomene, die bisher nur in Gedankenexperimenten auftraten, nun im »richtigen« Experiment überprüfen. Und man kann genauer feststellen, welche Informationen über den Mikrokosmos prinzipiell zugänglich sind.

Wineland führte seine Forschungen am National Institute of Standards and Technology (NIST) in Boulder (US-Bundesstaat Colorado) durch. Hier konstruierten er und seine Mitarbeiter eine Falle für elektrisch geladene Atome, sogenannte Ionen, die man mit Laserstrahlen in einen energetischen Übergangszustand versetzte und denen man fast die gesamte thermische Energie entzog. Der so kurzzeitig eingefrorene Quantenzustand der Teilchen konnte anschließend mit Photonen gemessen werden.

Für den umgekehrten Weg entschied sich der in Marokko geborene Haroche. In seinem Labor am Pariser Collège de France »lockte« er Photonen in die Quantenfalle und hielt sie in einer Resonanzkammer mit supraleitenden Spiegeln rund eine Zehntelsekunde lang fest. Diese Zeit reichte aus, um den Quantenzustand der Photonen mit Hilfe von schweren Atomen zu bestimmen.

Wie das Nobel-Komitee betonte, hätten beide Forscher mit ihren Arbeiten den Grundstein für den Bau optischer Atomuhren gelegt, die hundert Mal präziser seien als herkömmliche Cäsium-Atomuhren. Aber auch für die Entwicklung von Quantencomputern, die blitzschnell unzählige Rechnungen parallel ausführen können, bedeuten die neuen Erkenntnisse einen Innovationsschub. »Der Quantencomputer dürfte unser Leben in diesem Jahrhundert genauso radikal verändern, wie es der klassische Computer im vorigen Jahrhundert getan hat.« Sollte sich diese Prognose der Preis-Jury bewahrheiten, wäre die Ehrung von Wineland und Haroche ganz im Sinne des Preisstifters Alfred Nobel erfolgt, der immer auch den praktischen Nutzen der Wissenschaft im Auge hatte.

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