Diva aus der DDR

Die Schauspielerin, Diseuse und Brechtinterpretin Gisela May über Menschen in ihrem Leben

  • Burga Kalinowski
  • Lesedauer: ca. 7.0 Min.

Kürzlich erst wurde sie Botschafterin. Es war feierlich und in Marburg: Werbung für die Region Mittelhessen mit Prominenten. Hier ist sie geboren. Kinderzeit in Wetzlar, erste Worte in Mundart, Fotos. Ja, sie will die Trommel rühren für ihre frühe Heimat. Es bewegt sie auch, dass es dort eine Ausstellung der Bücher ihres Vaters Ferdinand May gibt. Darüber solle ich schreiben, sagt sie. Wir schließen einen kleinen Kompromiss. Gisela May. Natürlich ist sie eine Legende. Eine Diva aus der DDR. Berühmte Interpretin der Songs von Bertolt Brecht, Hanns Eisler, Kurt Weill, der Chansons von Tucholsky, Kästner und Jacques Brel. Beispielhaft und eigenständig ihre Mutter Courage am Berliner Ensemble. Umjubelte Auftritte in der New Yorker Carnegie Hall, Mailänder Scala, im Opernhaus Sidney, im Hamburger St. Pauli-Stadion – mit Harry Belafonte, Joan Baez und Gianna Nannini bei »Künstler für den Frieden«. Alles schon 100 Jahre her, sagt sie. Wer will das noch wissen? Dann plaudert sie doch, brüht Tee auf, lässt die Katzen raus und spricht von Wolfgang Harich, von früheren Nachbarn wie Wieland Herzfelde und John Heartfield, von dem englischen Journalisten John Peet, von ihrem Schauspielerkollegen Wolf Kaiser. Viele aus dem Leben von damals sind gestorben, umgezogen auf den Dorotheenstädtischen Friedhof. Irgendwann wird sie das auch machen. Der Tod schreckt sie nicht – das Alter ist ihr ein Ärgernis. Damit hadert Gisela May: Sie wüsste nicht, was am Altern schön sein soll. Tage später steht sie auf einer Bühne – durch und durch Bühnenmensch. Ein Abend für Hanns Eisler – natürlich auch mit ihr. Der Saal ist überfüllt, Applaus, Standing Ovations. Sie ist hier, um von Hanns Eisler zu erzählen.

nd: Die Bühnenlaufbahn stand für Sie von Anfang an fest?
May: Ja, sehr früh. Ich hatte eine wunderbare Familie. Meine Mutter war Schauspielerin, mein Vater Schriftsteller, uns besuchten viele Künstler - ich wuchs in einer lebendigen und künstlerischen Atmosphäre auf. Dazu kamen mein Temperament und meine Vorstellungskraft, mich in die verrücktesten Sachen hineinzuversetzen. Das war klar: Ich werde Schauspielerin. Mit 18 Jahren ging ich 1942 auf die Schauspielschule in Leipzig.

Wie erlebten Sie die NS-Zeit?
Ich hatte Glück: Ich bin in einem antifaschistischen Elternhaus groß geworden. Meine Mutter war Kommunistin, mein Vater sozialdemokratisch. Kämpfen und helfen war selbstverständlich. Zum Beispiel nahm meine Mutter eine Zeit lang eine junge Frau auf, die bei uns nähen sollte. Das war Tarnung - sie gehörte zu einer illegalen Gruppe. Im Haus mussten wir natürlich aufpassen: Die Zeit war gefährlich und mörderisch.

Sie verloren e...



Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.