nd-aktuell.de / 15.10.2012 / Politik / Seite 2

Wie ein Zauberkünstler, ein Kreuzritter

Ein Politiker eigenen Rechts - eine Tagung in Berlin widmete sich Willi Münzenberg

Mario Keßler

»Münzenberg brachte Komitees zustande, wie ein Zauberkünstler Kaninchen aus einem Hut zieht. Seine Genialität bestand in der einzigartigen Kombination eines Jahrmarktgauklers mit der wahren Hingabe eines Kreuzritters.« Diese pointierte Charakteristik seines Freundes Arthur Koestler war am Wochenende ebenso zu hören wie Verleumdungen zitiert wurden, die Willi Münzenberg von früheren Genossen nachgerufen wurden, als er 1938/39 die Partei verließ. Ein Charakter im Feld des Pro und Kontra.

Freitag und Sonnabend trafen sich im nd-Gebäude, im Münzenberg-Saal, rund zwei Dutzend Forscherinnen und Forscher aus Deutschland, Schweden, Finnland und Großbritannien, um über die Persönlichkeit und die Wirkung Willi Münzenbergs (1889-1940) zu diskutieren.

Er wurde als roter Pressezar bewundert wie geschmäht, hatte sich als der herausragende Gegenspieler des Hugenbergschen Presseimperiums wie auch des Propagandaministeriums von Goebbels etabliert. Er gründete Zeitschriftenverlage, Solidaritätskomitees, Netzwerke. Maßgebliche Intellektuelle - Heinrich Mann, George Lansbury, Henri Barbusse, Albert Einstein - erklärten sich bereit, an Solidaritätskampagnen mitzuwirken, etwa für hungernde Kinder in Sowjetrussland. Auch schaffte er es, dass Geistesschaffende in der Antiimperialistischen Liga mitwirkten, die Kolonialgräuel und -kriege anprangerte.

Die Konferenz in Berlin suchte Münzenberg auf vier Ebenen zu fassen: die Person, sein Wirken im Rahmen der Partei, seine Arbeit im Hinblick auf eine europäische und schließlich auch globale Perspektive. Es wurde bedauert, dass über Jugendzeit und Umstände seines Todes bislang noch keine wesentlichen neuen Forschungsergebnisse erbracht werden konnten. Holger Weiss von der Abo Akademi (Finnland) bedauerte, dass Münzenbergs globales Wirken zu wenig ausgeleuchtet sei. Er selbst sowie seine Doktoranden Fredrik Petterson und Kasper Braskén machten freilich mit in Arbeit befindlichen Monographien und Dissertationen neugierig auf bislang Unbekanntes.

Ursula Langkau-Alex (Amsterdam) ging auf die Gründe ein, warum Münzenberg noch in den dreißiger Jahren Stalin unterstützte. Offenbar wollte er nicht glauben, dass die in den Moskauer Prozessen Verurteilten wirklich hingerichtet würden. Als dies dennoch geschah, rückte er zunächst unmerklich, aber dann mit großer Konsequenz vom Stalinismus ab und nahm dafür den Bruch mit vielen Weggefährten in Kauf.

Tanja Schlie (Glückstadt) stellte neue Literatur aus den USA und Frankreich über Münzenberg vor und betonte, dass gerade dessen Antistalinismus in diesen Publikationen zu einseitig als bloße Reaktion auf Stalin gesehen werde, statt ihn als Ausdruck einer eigenen geistig-emanzipatorischen Sicht auf die kommunistische Idee zu werten. Andere Konferenzteilnehmer zeigten Münzenberg als einen Politiker eigenen Rechts, der anfänglich wirklich davon überzeugt war, mit Stalin und Thälmann gemeinsam gehen zu müssen. Als ihm diese Überzeugung abhanden gekommen war, suchte er als Kommunist einen Weg jenseits bisheriger Parteiloyalitäten.

Einen breiten Raum nahm auf der Konferenz die verhinderte Münzenberg-Rezeption in der DDR und der Sowjetunion ein. Sie scheiterte an der Dogmatik der offiziellen Geschichtsauffassung. Aber gerade weil Münzenbergs Leistung so unzureichend und er als »Unperson« betrachtet wurde, blieb er doch - wie Uwe Sonnenberg, einer der Mitorganisatoren der Konferenz, betonte - durch seinen Bruch mit Stalin und der KPD, eine stille Herausforderung.

Eine Konferenz, ein ermutigender Beginn, um eine große linke Persönlichkeit des frühen 20. Jahrhunderts weiter aus dem Nebel geheimnisumwitterter Vermutungen zu befreien.