nd-aktuell.de / 16.10.2012 / Politik / Seite 5

Hotline zum Niedriglohn

Bei der Sparkassentochter S-Direkt wird schon seit 100 Tagen gestreikt

Hendrik Lasch, Halle
8,50 Euro pro Stunde - so viel wollen die Mitarbeiter im Sparkassen-Callcenter Halle ab sofort verdienen. Das Unternehmen stellt sich stur. Seit 100 Tagen wird deshalb gestreikt.

Wer seine Geldkarte verliert und Kunde einer Sparkasse ist, braucht dieser Tage unter Umständen Geduld. Ein Anruf bei der Hotline, um die Karte sperren zu lassen, kann deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen als üblich. Der Grund: Im Callcenter der Sparkassentochter S-Direkt in Halle fehlt ein Gutteil der Belegschaft. Rund 250 der 800 Mitarbeiter sind im Streik. Heute dauert dieser bereits 100 Tage. Es sei »der ernsthafteste Arbeitskampf in der Callcenter-Branche bisher«, sagt Stefan Wittmann, Verhandlungsführer bei der Gewerkschaft ver.di.

Auf der Straße sind die Mitarbeiter, weil sie die Nase voll haben von niedrigen Löhnen. Das Einstiegsgehalt liegt bei 1280 Euro brutto - unverändert seit 16 Jahren, sagt Marcus Koch von der ver.di-Betriebsgruppe. Netto blieben rund 960 Euro. Zwar gebe es noch zwei weitere Gehaltsgruppen; wer aber wann höher eingestuft wird, sei eine willkürliche Entscheidung. »Auch viele langjährige Kollegen erhalten nur 7,36 Euro pro Stunde«, sagt Koch. Um eine Familie zu ernähren, sei das zu wenig; viele Mitarbeiter müssten sich ihr Gehalt von der Arbeitsagentur aufstocken lassen: »Und das bei 40 Stunden harter Arbeit.«

Die fand bisher unter unschönen Bedingungen statt. Die Telefonisten saßen dicht gedrängt an schmalen Tischen; bevor es kürzlich einige Zugeständnisse gab, maßen die Arbeitsplätze drei Quadratmeter. »Ein Biohuhn hat mehr Platz«, sagt Koch. Zudem gab es ständig wechselnde Sitzpläne. Ein möglicher Grund: »Man wollte die Bildung von Gruppen unterbinden.«

Das Kalkül ging nicht auf. Als sich das Management im Mai auch nach knapp 20 Gesprächen nicht auf einen Tarifvertrag über mindestens 8,50 Euro einlassen wollte, traten 250 Mitarbeiter in den Warnstreik - eine beachtliche Quote: Schließlich ist ein Drittel der Belegschaft befristet angestellt; ein weiteres Drittel sind Studenten und Teilzeitkräfte, die zum Arbeitskampf nur schwer zu motivieren sind. Der war zunächst nur für ein paar Tage geplant. Inzwischen, sagt Wittmann, handelt es sich um einen der längsten Streiks in der Geschichte von ver.di. Um die Hallenser auf den Arbeitskampf hinzuweisen, haben die Streikenden eine Mahnwache an der Ulrichskirche eingerichtet, die seit Wochen montags auf- und freitags abgebaut wird.

Die Resonanz sei gut, sagt Koch: 5000 Menschen hätten für einen Mindestlohn von 8,50 Euro unterschrieben. Zudem tauchen die Streikenden bei Messen und Veranstaltungen auf, bei denen Sparkassen als Sponsoren auftreten. Und sie besuchen Chefetagen von Sparkassen, die Aufträge an S-Direkt geben: »Wir erklären dort, unter welchen Bedingungen wir arbeiten.«

Das Unternehmen wurde 1996 als Dienstleister für Sparkassen und ihre Verbände gegründet. Es erledigt für alle 423 Institute bundesweit die Sperrung von Geldkarten; für weitere 250 werden Nachfragen zu Überweisungen oder Lastschriften beantwortet.

Inzwischen beschäftigt der Streik auch die Politik. Im Magdeburger Landtag will die LINKE am Donnerstag über einen Antrag abstimmen lassen, der 8,50 Euro als Untergrenze für Unternehmen in öffentlicher Trägerschaft festschreibt und einen Tarifvertrag für S-Direkt fordert. Offen ist, wie sich die SPD verhält. Deren Bundeschef Sigmar Gabriel hatte kürzlich noch an der Mahnwache den Streikenden den Rücken gestärkt, indem er die Forderung nach einem flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro bekräftigte.

In die Verhandlungen scheint die Aufmerksamkeit der Politik neue Bewegung zu bringen, sagt Wittmann. Zuletzt waren diese festgefahren: Ver.di fordert 8,50 Euro ab sofort; die Chefetage von S-Direkt will diese je nach Länge der Betriebszugehörigkeit stufenweise einführen. »Wir liegen zwölf Monate auseinander«, sagt Wittmann.

Allerdings habe er jetzt den Eindruck, dass angesichts der inzwischen bundesweiten Aufmerksamkeit die Gesellschafter, also Sparkassen und ihre Verbände, »verstärkt nach einer Lösung suchen«. Anderenfalls sind die Streikenden gerüstet: Für die Mahnwache haben sie jetzt ein Wohnmobil zum Aufwärmen organisiert.