nd-aktuell.de / 01.11.2012 / Politik / Seite 6

Sie kommen als Biedermänner

Begleitet von Protest startet die NPD ihre Hetztour gegen Migranten in Sachsen

Hendrik Lasch, Chemnitz
Mit einer »Aktionswoche« hetzt Sachsens NPD gegen Ausländer und Muslime. Obwohl es etwa in Chemnitz viel Protest gab, ist zu befürchten, dass Ressentiments geschürt werden.

Der Vorsitzende des türkischen Kulturvereins in Chemnitz hat seine Leute nach Hause geschickt. »Man weiß nicht, was passiert«, sagt der Mann, der nur »Isi« genannt werden will. Er steht im kalten Nieselregen vor dem unauffälligen Vereinshaus neben dem Chemnitzer Theater. Vor ihm ein Kordon von Polizeifahrzeugen. Dahinter parkt ein Lkw, den die NPD gechartert hat. »Asylmissbrauch und Islamisierung stoppen«, ist in grellen Lettern auf die Seitenwand geschrieben. Die Partei veranstaltet eine »Aktionswoche«, mit der, wie aus dem Megafon zu hören ist, das Grundrecht auf Asyl gekippt werden soll. Nicht so offen ausgesprochen wird das eigentliche Ziel: Die Rechten wollen Ressentiments gegen Ausländer schüren und davon nicht zuletzt bei Wahlen profitieren.

Der türkische Kulturverein kommt wohl gerade recht als vermeintlicher Hort der »Islamisierung«. Er ist am Dienstag zweiter Ort der NPD-Tour, die vor der zentralen Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge am Stadtrand von Chemnitz begann, abends in Plauen fortgesetzt wurde und bis Samstag noch durch Leipzig und Dresden, Pirna, Kamenz, Radebeul und Riesa führt. Überall versucht die NPD, so nahe wie möglich vor Moscheen oder Heime zu gelangen, in denen Flüchtlinge untergebracht sind. Überall versucht sie, diese als Gefahr für Sicherheit und Wohlstand in Deutschland, als »Schmarotzer« zu diskreditieren.

Der Kulturverein wird in Chemnitz nicht als Gefahr empfunden, eher als Bereicherung. »Wir sind ein offenes Haus«, sagt Isi. Seit 1994 gibt es den Verein, der nicht nur für Türken da ist. Zum Freitagsgebet kommen Menschen mit 27 Nationalitäten; bei Festen sind auch Chemnitzer ohne muslimischen Glauben willkommen. Um den Charakter des Islam zu veranschaulichen, breitet der Chef des Vereins die Arme sehr weit aus. Aber, fügt er hinzu, »das wissen die da drüben nicht.«

Besser: Sie wollen es nicht wissen. Der NPD geht es darum, Stimmung zu machen. Zwar rufen Redner wie der Landtagsabgeordnete Andreas Storr oder Michael Schäfer, der Bundeschef der Jungen Nationaldemokraten, nicht offen zu Gewalt auf. Doch »wir empfinden das als Angriff«, sagt Vereinschef Isi. Bisher, sagt er, habe sein Verein ungestört gearbeitet. Ob das so bleibt? Er zuckt die Schultern. Die Gefahr sei, sagen Beobachter, dass sich Gleichgesinnte der Braunen zu Übergriffen ermutigt fühlen. »Sie kommen als Biedermänner«, sagt die Grünen-Stadträtin Petra Zais über die NPD, »und sind doch Brandstifter.«

Das sehen viele ähnlich. Den 35 NPD-Aktivisten, meist Abgeordnete und Mitarbeiter der Landtagsfraktion, stehen in Chemnitz gut 150 Gegendemonstranten gegenüber, unter ihnen Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig. Es sei »schlimm, dass die NPD so eine dämliche Kampagne machen und gegen das Grundrecht auf Asyl hetzen darf«, sagt die SPD-Politikerin und dankt denen, die »an diesem hässlichen Tag« dagegen auf die Straße gehen. Überall entlang der NPD-Tour wurden Aktionen geplant. Die Zuwanderer sollen nicht mit den geistigen Brandstiftern allein gelassen werden.

Diese können indes auch anknüpfen an Signale und Entscheidungen der herrschenden Politik, sagt Ali Moradi, der Vorsitzende des sächsischen Flüchtlingsrates. Er warnt in Chemnitz vor einer Stimmung »wie vor 20 Jahren in Rostock-Lichtenhagen« und erinnert an die massiven Übergriffe auf dortige Flüchtlingsheime, was auch mit bundespolitischen Entscheidungen zu tun gehabt habe. Wer sich um Asyl bewirbt, landet in der Regel in Heimen, die oft überfüllt sind und wo sich Probleme ballen. Würden Migranten indes in Wohnungen leben, könnten ihre Nachbarn sehen, dass sie »lachen, weinen, essen; dass sie Menschen sind wie alle anderen auch«, sagt Moradi. Statt dessen werden Hunderte Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen jahrelang in Heime gezwängt - ein Nährboden für Konflikte.

Die nutzt die NPD aus - und zwar nicht ohne Erfolg. »Ich habe mit denen nichts am Hut«, sagt ein Anwohner in Chemnitz, »aber Recht haben sie trotzdem«. Vielleicht sollte er statt auf die Braunen lieber auf den Alten Fritz hören. »Wenn die Türken und Heiden kämen und wollten unser Land peuplieren«, also bevölkern, »so wollten wir für sie Moscheen und Kirchen bauen«, wurde der Preußenkönig auf einem Plakat zitiert. Das, so heißt es weiter, sollten sich die »nationalistischen Rotzlöffel« hinter die Ohren schreiben.