Extrem aufgestellt

NSU war gestern, jetzt kommt wieder »Links« ins Visier

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Mehr und bessere Zusammenarbeit der Behörden. Die Forderung saß wie eine Glocke über der diesjährigen BKA-Tagung. Es ging um die »Bekämpfung des Rechtsextremismus als eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung«.

Ja, die Sicherheitsbehörden haben bei der Verfolgung des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) versagt. Ja, viele Fragen zu dem Mördertrio und ihren Unterstützern sind unbeantwortet. Ja, die Sicherheitsbehörden haben durch das Schreddern zusätzlich Vertrauen eingebüßt. Doch ihnen deshalb Kompetenzen abzusprechen, sei »Unsinn«, meinte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) auf der diesjährigen Herbsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA) in Wiesbaden.

Was folgt? Laut Friedrich mehr Kompetenzen, damit die Behörden besser »Hand in Hand arbeiten können«. Nur so lässt sich Extremismus wirksam bekämpfen.

Extremismus? Was ist das? Ein Abweichen von der Norm, das vom Grundgesetz gestattet, ja sogar demokratisch gewollt ist. Doch der Begriff ist in seiner Beliebigkeit unübertrefflich. Entscheidend ist, wer die Definitionshoheit hat. Seit dem Auffliegen der NSU-Terrorzelle vor einem Jahr und der damit verbundenen Erkenntnis, dass Neonazis zehn Morde auf dem Kerbholz haben, war der Begriff mit der politischen Richtungsbestimmung »Rechts« belegt. Das wird ab heute anders. Friedrich weiht ein »Gemeinsames Extremismus- und Terrorabwehrzentrum« ein. Standorte sind Köln (Verfassungsschutz) und Meckenheim (Bundeskriminalamt).

Das Zentrum wird gleichberechtigt mit dem »Gemeinsamen Abwehrzentrum gegen islamistischen Terrorismus« und dem »Gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus« mutmaßliche Linksextremisten ins Visier nehmen. Dazu kommen - gleich einem Gemischtwarenladen - Aufgaben wider Ausländerkriminalität, die Spionageabwehr und Proliferationsfragen.

Friedrich wehrt Kritik aus den Ländern ab, die vor allem unnötige Hast beklagen. In Kürze, so der Minister, würden auch die Länder mitmachen. Dann sitzen wie in den anderen beiden Abwehrzentren 39 Bundes- und Landesbehörden an einem Tisch. Über den hinweg man Informationen rasch, verlustlos und vor allem unkontrolliert austauschen kann. Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten? Das war gestern.

Schon bald wird das Extremismusabwehrzentrum das Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus aufsaugen, dann ist die gewollte Ordnung, nach der Rechts wie Links gleich gefährlich sind, wieder hergestellt. So als hätte es den NSU nie gegeben.

Mit einer Einschränkung. Man hat die NSU-Mordserie zum Anlass genommen, die Haushalte zu erhöhen, zusätzliches Personal einzustellen, mehr Technik einzusetzen, neue Dateien einzurichten. Und ganz schnell lernte man, wie neue Dateien zu vernetzen sind. So ermöglicht die Software, die man für das Abwehrzentrum Rechts entwickelte, erstmals, Personen, Orte und Sachverhalte zueinander in Beziehung zu setzten.

Wie auf der BKA-Tagung zu hören war, evaluiert man gerade die Leistungen des Abwehrzentrums Rechtsextremismus, um die Erfahrungen auch für die anderen Gremien zu nutzen. Doch einige Unwägbarkeiten gibt es wohl noch. Friedrich und Co. sehen weniger Ablehnung aus den Parlamenten auf sich zu kommen. Wenn aber die Klage, die jüngst das Bundesverfassungsgericht wider die Anti-Terror-Datei erreichte, von den Richtern als begründet angesehen wird, kann es eng werden für Big-Brother-Träumer. Zumal ein Wahljahr ansteht.


Viel Geld für V-Leute

Der NSU beschert den Sicherheitsorganen einen warmen Finanzregen. Allein das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat für das kommende Jahr fast 13,5 Millionen Euro mehr eingeplant. So steigt der Etat auf 130,8 Millionen Euro. Sechs Millionen Euro werden für den »Sondertatbestand der Stärkung der Bekämpfung des Rechtsextremismus« ausgegeben. Eine Million verschlingt die Errichtung der Rechtsextremismus-Datei allein beim BfV.

Ungeachtet aller Diskussionen über den Sinn oder Unsinn von V-Leuten beharrt der Geheimdienst auf dieser traditionellen Methode und plant als Prämien für seine V-Leute 2,4 Millionen Euro ein. Zur Erstattung der Auslagen von V-Personen kommt eine weitere halbe Million Euro hinzu. So gesehen waren die 200 000 D-Mark, die der Führer des Thüringer Heimatschutzes Tino Brandt von den Thüringer Verfassungsschützern erhalten hatte, Peanuts. hei

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