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Eng an der Stadt

Die Kommunale Galerie zeigt im Foto »12 Antworten auf Berlin«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwei ihrer großen Räume stellt ihnen die Kommunale Galerie zur Verfügung. Darin bündeln zwölf Fotografen aus acht Ländern, was ihre Sicht auf Berlin ausmacht. Viele leben langjährig in der Stadt, für andere war sie temporärer Aufenthaltsort, etwa mit einem Stipendium, für wieder andere ist sie Zweitwohnsitz im Wechsel mit der Heimat. Sie alle haben Eindrücke von Berlin im Foto fixiert, oft in Themenserien. Diese Impressionen fallen so unterschiedlich aus, wie sich eine Metropole mit Charme trotz Ermüdung, mit Hochglanz und Tiefenstruktur dem sehenden Auge darbietet.

So haben Gino Puddu aus Italien leere Spielplätze interessiert, ohne Kinder als Adressaten. Schaukel, Rutsche und Wipppferdchen im herbstlichen Gepränge, das Strebengewirr des Klettergerüsts, der Palisadenwall, den man über Rutschen verlassen kann, der Drehtisch, sie alle warten auf Besuch und Nutzung. Großfotos wie steinerner Adler, geöffneter Kühlschrank ohne Füllung oder Namensschilder am Hochhaus stecken in transparenten Kuverts, als wolle jemand sie als Gruß aus wohnlich gewordener Fremde heimschicken. Winzige ebenfalls schwarz-weiße, wie aus der Hand geschossene Aufnahmen stellt Puddus Landsmann Vincenzo Guarnera aus. Verwackelt und unscharf sind sie wie mancher Lebensmoment: die vorübereilende Rauchende, der Hund am Pfahl, Nachtlichter, Notverkauf von Habe auf Zeitungsunterlage, Anhalter Bahnhof in seiner Restarchitektur. Kaum mehr zu erkennen sind die Fotos und Postkarten, die Andreas Burger, dritter Italiener und studierter Bildhauer, auf einer Wand hinter gesprenkeltem Glas präsentiert. Als einziger beteiligt er sich auch mit einer Installation, einem Wandregal voller eingeweckter Fotos, die ihrer gläsernen Schutzhülle bei Bedarf entnommen werden können.

Eng an der Stadt bleibt der Blick des Neuseeländers Abby Storey mit seinen farbigen Großformaten. Inmitten ruinöser Altbauten stieß er auf einen »Photoautomat« in abgewetztem Orange, der gerade genutzt wird. Auf einer Brache steht eine Ziehharmonika-Baracke mit Schild »Made in G.D.R. - Intershop 2000« und weckt zwiespältige Erinnerungen. Das »Berlin Project 2008« stellt zwölf Berliner unterschiedlicher Herkunft auf ein und dieselbe Stelle einer Fußgängerbrücke, offeriert so Haltung und Selbsteinschätzung, lächelnd, unschlüssig, provokant wie der Penner. Sensibel: ein Graffiti-Idyll, leere Hofbänke im Herbst, bröckelnde Fassaden.

Sinn für Geometrie, für verschwimmende, unklare Augenblicke unseres Alltags beweist die studierte Germanistin Benedette Grossrubatscher aus Verona. Feuer scheint in einem Schaufenster zu lodern; zwei Schildkröten beklettern einander; durch die Scheibe eines Lokals gesehen, überlagern sich Innen und Außen; gewaltig wirken das Schuhregal, die Orchidee in einer Struktur. Die Serie »Allerseelen« vereint die dampfende Tasse einer alten Kaffeereklame und auf Gehwegplatten verstreute Blumen, rostende Brücken der Yorckstraße, Plastikweihnachtsbaum, Stoffdraperie und vereiste Schleppkähne. Auch Serge Clément aus Kanada zeigt ins Ungefähre verschattete Wirklichkeitsausschnitte: die Falten werfende Folie, die nächtliche Plakatwand, den Blick in ein Abfertigungshäuschen der U-Bahn unter großer Uhr, am Bahnhof Zoo wartende Reisende und das Schattenspalier Unsichtbarer, erzielt wiederum durch raffiniert entdeckte Spiegeleffekte mit starker Wirkung.

Auch den Franzosen Jérémie Auboin reizen verträumte, in Zerfall befindliche Berliner Ecken und Winkel. Das meint: hausumstellte Brachen mit Wildwuchs und den unvermeidlichen Graffiti; Flächen unter Schnee; eine zerstörte Baracke, durchs Fenster die Sicht auf blühende Natur; das sich an poröse Altbauten schmiegende Zirkuszelt; das stillgelegte Riesenrad mit windschiefen Gondeln oder den entkernten Großbau mit Durchstoß zur Etage darunter. Köpfe Prominenter aus Kunst und Politik hat der Brite Andy Rumball hinter geritztes Glas gebannt; Marek Pozniak aus Polen, mit Studien auch in Elektrotechnik, hält sein Abbild von Wedding vergilbt und braunstichig fest. Katherine Newbegin aus den USA überrascht mit dem Honecker-Konterfei auf gelber Ornamenttapete überm Ehebett wohl im Hotel und dem »Green Phone« vor dunkler Holzvertäfelung. »Interim« heißt die Serie. Bei Stéphane Duroy aus Tunesien schließlich: der Berliner Dom hinter Gerüstresten vom Palast der Republik, der Friedhofsengel mit Armstumpf, der Sitzende ohne Kopf, Volksbühnen-Werbung mit Rosa zerfleddernd, verriegelt der einstige Wachturm. Berliner Facetten eben.

Bis 25.11., Kommunale Galerie, Hohenzollerndamm 176, Wilmersdorf, Tel.: 902 91 67 04, www.kommunalegalerie-berlin.de

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