nd-aktuell.de / 26.11.2012 / Politik / Seite 13

Bayerisch Sibirien?

Die Region Hochfranken fühlt sich von der Münchner Landesregierung vernachlässigt

Kathrin Zeilmann, dpa
In München scheint die Sonne - und in Hof ist es kalt und neblig? In München warten hoch dotierte Jobs - und aus dem Nordosten Frankens wandern die Menschen ab? Firmenchefs aus Hochfranken sagen: Die Region ist besser als ihr Ruf.

Es fängt ja schon beim Wetter an. In fast jedem bayerischen Wetterbericht ist Hof das negative Extrem - kühle Temperaturen im Norden Frankens, Sonnenschein am Alpenrand. »Bayerisch Sibirien« an der Autobahn 9. Aber auch sonst macht der Region ein negatives Image zu schaffen. Jahrzehntelang galt die Gegend an der Grenze zur DDR als abgelegen. Danach fegte der Strukturwandel über Hochfranken hinweg, Arbeitsplätze in der Textil- und Porzellanindustrie brachen weg. Abwanderung ließ leer stehende Häuser und trübe Schaufenster zurück.

Sind die Landkreise Hof und Wunsiedel also das Armenhaus Bayerns? Müssen Oberbayern, Regensburger und Schwaben nicht nur wegen der kühleren Temperaturen mitleidig gen Norden blicken? Nein, würden Besucher und Teilnehmer einer Podiumsdiskussion des Regionalmarketingvereins Hochfranken am Dienstagabend in Schwarzenbach an der Saale (Landkreis Hof) sehr energisch rufen.

Licht und Schatten gebe es in jeder Region, sagt etwa Christian Heinrich Sandler, Chef des Vliesstoff-Herstellers Sandler AG. »Wir haben tolle Mitarbeiter. Unsere Unternehmen sind solide finanziert.« Die einstige Randlage, nunmehr ein Fördergefälle im Vergleich zu den neuen Bundesländern - trotz großer Probleme habe es die Region geschafft, die Wirtschaft »nach vorne zu bringen«. Viele Betriebe seien in ihren Bereichen Weltspitze. Die Sandler AG macht rund 240 Millionen Euro Umsatz jährlich. Ein Vorzeigeunternehmen, das bewiesen hat, dass die Textilindustrie auch nach dem Strukturwandel eine Zukunft in der Region hat.

Auch die Porzellanindustrie ist nicht gänzlich verschwunden. Bei BHS tabletop, einem Spezialisten für Geschirr für Großverpfleger mit Hauptsitz in Selb (Landkreis Wunsiedel), sind die Produktionsanlagen so modern, dass sogar Roboter eingesetzt werden.

Hochfranken habe immer noch eine hohe Industriedichte, sagt Sandler. »Wir sind hier gut aufgestellt, wir müssen den Vergleich mit anderen Regionen nicht scheuen«, sagt Friedrich Gräßel, der Vorsitzende der regionalen Geschäftsleitung des Kunststoffverarbeiters Rehau AG aus der gleichnamigen Stadt. Aber: Rehau müsse akademischen Nachwuchs anwerben, das funktioniere nur, wenn man die Stärken einer Region deutlich hervorkehre. »Hier aber gibt es noch viel Kirchturmdenken.«

Der Nordosten Oberfrankens müsse seine Attraktivität für junge Menschen weiter steigern, fordert auch Jürgen Lehmann, Präsident der Hochschule Hof. »Wir müssen sie davon überzeugen, dass es hier Perspektiven gibt.« Junge Menschen bekämen immer noch häufig gesagt: »Wenn ihr was werden wollt, müsst ihr weg von hier.« Diese Einstellung müsse verschwinden.

Hinweise darauf gebe es bereits: Hätten vor vier Jahren noch Dreiviertel der Studenten der Hochschule die Absicht geäußert, nach dem Abschluss nicht in der Region bleiben zu wollen, so könnte sich jetzt schon die Hälfte der jungen Menschen vorstellen zu bleiben. Die Unternehmen müssten aber auch etwas bieten, beispielsweise ein gutes Gehalt. »Da stimmt es nicht immer. Da ist es verständlich, wenn sich die Studenten anderswo umschauen.«

Auch Firmenchef Sandler hat bei allem Lob für die Region eine Wunschliste parat: Die dringend fällige Elektrifizierung der Bahnstrecke nennt er als Beispiel, dann eine schnelle Internetverbindung auch in kleinen Dörfern.

Und der nicht zu leugnende Bevölkerungsschwund? Im Landkreis Wunsiedel, so die Prognose, wird bis 2028 die Einwohnerzahl um 21,7 Prozent auf dann rund 61 400 Menschen zurückgegangen sein. Der demografische Wandel bereitet den Politikern schon lange Sorgen. Bis 2004 seien im Landkreis mehr als 12 000 Arbeitsplätze weggefallen, rechnet Landrat Karl Döhler (CSU) vor. »Viele Leute mussten deshalb weggehen.« Auf die Hilfe der Staatsregierung in München, so ist ihm anzumerken, konnte er bislang nur bedingt setzen. »Wir sind auch in Bayern«, betont er. »Wir merken aber, dass oft kein Verständnis da ist.«