nd-aktuell.de / 01.12.2012 / Kultur / Seite 32

FREIHEIT

von Paul Éluard

Am Sonntag ist der Internationale Aktionstag für die Abschaffung der Sklaverei. Dieses Gedicht wurde aus dem Französischen übertragen von Stephan Hermlin.

Auf die Hefte meiner Schulzeit
Auf mein Pult und an die Bäume
In den Sand in den Schnee
Schreibe ich deinen Namen

Auf alle gelesenen Seiten
Auf alle leeren Seiten
Stein Blut Papier oder Asche
Schreibe ich deinen Namen

Auf die goldenen Bilder
Auf die Waffen der Krieger
Auf die Krone der Könige
Schreibe ich deinen Namen

In die Dschungel und die Wüste
Auf die Nester auf den Ginster
Auf das Echo meiner Kindheit
Schreibe ich deinen Namen

Auf die Herrlichkeit der Nächte
Auf das weiße Brot der Tage
Auf die verlobten Jahreszeiten
Schreibe ich deinen Namen

Auf alle meine Fetzen Himmelblau
In den Teich Schimmel der Sonne
Auf den See atmender Mond
Schreibe ich deinen Namen

Auf die Felder am Horizont
Auf die Schwingen der Vögel
Und auf die Mühle der Schatten
Schreibe ich deinen Namen

In jeden Hauch des Morgenrots
Auf das Meer an die Schiffe
Auf den entfesselten Berg
Schreibe ich deinen Namen

Auf das Moos der Wolken
In den Schweiß des Gewitters
in den fad-fetten Regen
Schreibe ich deinen Namen

Auf die leuchtenden Formen
Auf die Glocken der Farben
Auf die greifbare Wahrheit
Schreibe ich deinen Namen

Auf die erwachten Pfade
Auf die entfalteten Straßen
Auf die überströmenden Plätze
Schreibe ich deinen Namen

Auf die entzündete Lampe
Auf die erlöschende Lampe
Auf meine versammelten Häuser
Schreibe ich deinen Namen

Auf die geteilte Frucht
Des Spiegels und meiner Kammer
Auf mein Bett leere Schale
Schreibe ich deinen Namen

Auf meinen Hund zärtliches Freßmaul
Auf seine aufrechten Ohren
Auf sein ungeschicktes Pfötchen
Schreibe ich deinen Namen

Auf die Schwelle der Tür
Auf die vertrauten Dinge
In den Strom geweihten Feuers
Schreibe ich deinen Namen

Auf jeden Leib der sich mir gibt
Auf die Stirn meiner Freunde
Auf jede Hand die sich ausstreckt
Schreibe ich deinen Namen

Auf das Glas der Überraschung
Auf die Lippen voller Erwartung
Sehr hoch über das Schweigen
Schreibe ich deinen Namen

Auf meine zerstörte Zuflucht
Auf meine gestürzten Leuchtfeuer
An die Mauern meiner Langeweile
Schreibe ich deinen Namen

Auf das Fernsein ohne Begierde
Auf die nackte Einsamkeit
Auf die Stufen des Todes
Schreibe ich deinen Namen

Auf die wiedergekehrte Gesundheit
Auf die verschwundene Gefahr
Auf die Hoffnung ohne Erinnerung
Schreibe ich deinen Namen


Und durch die Macht eines Wortes
Beginne ich mein Leben noch einmal
Ich lebe um dich zu kennen
Um dich zu nennen

FREIHEIT