nd-aktuell.de / 04.12.2012 / Kultur / Seite 15

Die Nagel-(Haus-)Probe

Man hat es das »Nagel-Haus« genannt. Es ragte so spitz heraus aus dem glattgewalzten Boden. Einem Reißzahn ähnlich. Lange nämlich hat sich das Bewohner-Ehepaar gegen den Abriss gewehrt - so wuchs die Autobahn nahe der ostchinesischen Stadt Wenling notgedrungen ums Gebäude herum. Nun stimmten die Besitzer der Entschädigungssumme (umgerechnet 32 000 Euro) und der Zusicherung eines neuen Grundstücks doch zu..

Oft gehen Baubehörden in China wenig zimperlich gegen Bewohner vor, die Großprojekten im Wege stehen, ihnen im Wege leben. Aber von Tag zu Tag war das »Nagel-Haus« mehr und stärker zum öffentlichen Sinnbild einer störrischen, fast witzigen Gegenwehr geworden. Das ohnmächtig Kleine gegen das übermächtig Große. Ein ganzes Land sah zu und freute sich des sympathischen Starrsinns.

Der Maler Edward Hopper nannte einzeln stehende Häuser »Kathedralen des dämonischen Geistes«, wo Behausung stets auch Verlorenheit und Angstbedrängung bleibt. Hier, bei Wenling, hatte ein Stolz sich sein Bühnenbild gebaut. Nun wächst da kein Haus mehr, so, wie kein Gras mehr wächst. Aber auferstehen aus dem Ruin, den das Autofließband verkörpert, auferstehen aus diesem Ruin wird fortan die Erzählung von der Nagel-(Haus-)Probe, und bestanden hat sie nicht, wer da als Sieger über den Beton rasen wird. hds