nd-aktuell.de / 04.12.2012 / Brandenburg / Seite 11

Unfreiwillige Schulschwänzer

Kinder von Asylbewerbern landen oft auf Wartelisten statt im Unterricht

Marina Mai

Nach Angaben des Flüchtlingsrates gehen in mehreren Berliner Bezirken Asylbewerberkinder sowie andere Kinder, die aus dem Ausland zuziehen wie etwa Roma aus Osteuropa, nicht zur Schule. Grund sind fehlende Räume, fehlende Lehrer oder nicht geklärte Zuständigkeiten. Gesetzlich ist eigentlich alles klar: Jedes Kind im schulpflichtigen Alter, das in Berlin wohnt, muss einen Schulplatz angeboten bekommen. Zuständig sind die Bezirke. Doch in Neukölln, wo vor allem Roma aus Rumänien und Bulgarien zuziehen, landen immer mehr Kinder nur auf Wartelisten statt in Schulen. Auch in Mitte gibt es nach Flüchtlingsratsangaben Wartelisten. In Tempelhof-Schöneberg stehen nach Angaben des Internationalen Bundes 14 Kinder aktuell auf einer Warteliste für die Schule.

Sehr kreativ umgehe Spandau seit Jahren die Schulpflicht für Asylbewerber. In dem Bezirk befindet sich eine der beiden Zentralen Erstaufnahmestellen für Asylbewerber, wo diese meist drei Monate lang bleiben. »Oft dauert die Wartezeit für die schulmedizinische Untersuchung aber allein drei Monate«, erzählt Walid Chahrour vom Flüchtlingsrat. Ohne diese Untersuchung darf kein Kind zur Schule gehen. »Der Bezirk verlangt zudem, dass die Kinder eigene Dolmetscher zu dieser Untersuchung mitbringen, was in vielen Fällen die Wartezeit zusätzlich verlängert.« Sind die Kinder schließlich untersucht, ist Spandau oft nicht mehr zuständig. Auch in Treptow-Köpenick gehen nach Angaben der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus mehrere Flüchtlingskinder nicht zur Schule. Ob es beim Gesundheitsamt oder beim Schulamt hakt, ist nicht in Erfahrung zu bringen. Bezirkssprecher Hans-Rainer Harder bekam aus den Fachämtern keine Auskunft.

Dass es auch anders geht, zeigt Lichtenberg, wo die meisten Berliner Asylbewerber untergebracht sind. Dort klappt sowohl die schulmedizinische Untersuchung als auch die Bereitstellung von Schulplätzen, wo Lichtenberg mit Nachbarbezirken Marzahn-Hellersdorf und Pankow kooperiert. In Lichtenberg stellt sich das ganze Bezirksamt engagiert der Aufgabe, Asylbewerber unterzubringen und zu versorgen.

Schüler, die neu aus dem Ausland kommen und keine Deutschkenntnisse mitbringen, müssen zuerst in einer Kleingruppe Deutsch lernen. 136 solche Lerngruppen gibt es derzeit in Berlin. Im Vergleich: Im Sommer 2011 waren es nur 61. »Der Bedarf an Lehrpersonal ist derzeit wegen Mangel an für diese Aufgabe geeigneten Lehrkräften nicht immer zu decken«, räumt die Bildungsverwaltung auf eine Anfrage der Bildungspolitikerin der Linkspartei, Regina Kittler, ein. Aber, so heißt es weiter: Der Unterricht werde durch Umsetzung von Lehrkräften abgesichert. Und die Schulpflicht sei gewährleistet. Das sieht Kittler anders. »Die Ämter arbeiten nicht ordentlich zusammen. Es gibt keinen Überblick und kein gesamtstädtisches Konzept.« Weil die steigende Zahl der Asylsuchenden absehbar war, hätte der Senat schon längst ein Fortbildungsprogramm für Lehrer auflegen müssen. »Derzeit läuft so etwas zwar an, aber das ist zu spät«, sagt Kittler.

Niemand habe den Überblick, wo freie Kapazitäten an Schulgebäuden sind, kritisiert Kittler. »Als LINKE lehnen wir es kategorisch ab, Flüchtlingskinder aus den Schulen auszusperren und sie stattdessen in Asylbewerberheimen separat zu unterrichten.« Das geschehe etwa in Spandau und Marienfelde und sei »Unterricht zweiter Klasse«. Walid Chahrour vom Flüchtlingsrat ergänzt: »Berlin nutzt das Potenzial nicht, das die zugewanderten Kinder und Jugendlichen mitbringen.« Die meisten dieser Kinder seien mitnichten Schulverweigerer, sondern sehr wissbegierig. »Ein Bezirksbürgermeister schreibt Bücher über Bildungsdefizite dieser Kinder. Stattdessen sollte er mal in seinem Bezirk bessere Bedingungen für Bildung schaffen.«