Fastfood für Kunsthungrige

Unbefriedigend: »Plattform Moscow« im Haus der Berliner Festspiele

  • Anita Wünschmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Berliner Festspielhaus, dem kubischen Gebäude, das ab den 60er Jahren die Freie Volksbühne beherbergte, wurde am Wochenende mit Kunst und Theater eine Programmreihe zum Russisch-Deutschen Kulturjahr eröffnet. Seit elf Jahren erarbeitet sich das Haus einen neuen Ruf als Kulturstandort.

Es fungiert hier u.a. als Gastgeber für eine interaktive Ausstellung: »Young Art from Russia«/ »Junge Kunst aus Russland« wird in einem virtuellen Museum, dem von Christina Steinbrecher kuratierten »V-Museum« präsentiert. Wie muss man sich das vorstellen? Als Youtube-Schau von Bildender Kunst? Als begehbares elektronisches Museum? Es ist beides in einem und doch anders. Man betritt einen klassischen Raum und auf die weißen Wände sind wechselweise und touchscreengesteuert (wie beim Fahrkartenschalter) die Bilder von vier jungen Künstlern(Pavel Kiselev, Taisia Korotkova, Olya Kroytor, Alexander Lysov) aus Moskau projiziert. Die haptischen Eigenschaften ihrer Werke, deren Formaterlebnis, die sinnliche Struktur, so sie vorhanden ist, verbleiben mit den Originalen im Atelier. Was man erleben kann, ist eine eigens für das virtuelle Museum hergestellte Aufnahme vom Originalkunstwerk. Es sind Adaptionen, um den Eigenheiten der elektronischen Projektion (Farbe, Größe, Intensität) besser zu entsprechen.

Die Präsentation von Malerei (Taisia Korotkova malt hyperrealistische technoide Bilder in ikonenhaftem Leuchten mit Tempera auf Holz) ist ebenso unbefriedigend wie die Visualisierung der Collagen (Zeitschriftenfotos plus geometrische Zeichnung und Flächenarrangements) von Olya Krytor - beides erlebt man hier als eine Art Fastfood-Speisung für Kunsthungrige.

Am besten funktioniert die mediale Schau bei den Arbeiten des Künstler-Duos MischMasch, die ohnehin Stadtwahrnehmungen - Häuser, Flure, Treppenaufgänge - in abstrakte Zeichenbilder transformiert haben oder die Videoinstallation von Pavel Kiselev, der allerdings jegliche Wahrnehmung quasi verweigert und Raum und Zeit allein als hektisches Flirren und Zucken erlebbar macht.

Die Idee des interaktiven medialen Museumserlebnisses mag trotz einzelner bekannter Versuche noch in den Kinderschuhen stecken und bedarf wie jedes Experiment einer Reife- und Erprobungsphase. Die Perspektive ist allerdings interessant: Es gibt prachtvolle Museen mit enormen Kunstschätzen und wiederum etliche Häuser vor allem in Provinzlagen mit ewigen Ausstellungslaufzeiten und marginalen Eindrücken. Hier möchten die Projektmacher des V-Museums anknüpfen und Kataloge und Depots durchsuchen, um digital Ausstellungen neu zu sortieren, alte zu reproduzieren und die Kunst an entlegene Winkel ebenso wie in die Metropolen zu bringen. Christina Steinbrecher guckt doppelt ernst, wenn sie von ihrem Traum erzählt, die immense Sammlung des Londoner Viktoria & Albert Museums z. B. unter dem Aspekt der Farbe Rot neu zu sortieren und in Moskau zu zeigen. Naheliegend ist dabei der Aspekt, die Sehgewohnheiten einer jungen Generation - alle Künstler sind unter 35 - zu nutzen und ihr digitales Weltverhältnis um Kunsträume zu bereichern. Immerhin sitzt man nicht allein vor einem Bildschirm und kriecht förmlich in die e-world hinein, sondern diese kommt zurück in den realen Raum.

Der Aurawert, wie ihn schon Walter Benjamin im Zeitalter der Reproduzierbarkeit schwinden sah, wandelt sich freilich immer weiter und wird neu formuliert werden müssen. Aura ist nicht mehr allein sinnlich-unikat, eine Sache der Originalität und Berührbarkeit, sondern sie erwächst aus den elektronisch evozierten Zeichen, die in unserem Bildgedächtnis nachhaltig Spuren hinterlassen, die zwar schmal sind wie ein Bit aber signifikant wie ein roter Punkt auf einer Landkarte. Die beste Auflösung, dichteste Information, eine imaginäre Tiefe, die verlustlose Adaptionsmöglichkeit, als größte Formenvariabilität bei maximal evidenter Wiedererkennung, schließlich die Fähigkeit produktive Energie freizusetzen - all das könnte einen neuen Aura- Begriff umreißen. »Plattform Moscow« ist dafür ein weiterer Experimentierraum.

Und welches Potenzial bei den immer sparsameren Haushalten und einer sich erweiternden Weltkommunikation! Kunst aus Kinshasa im musealen Rundgang mit derjenigen aus Mexiko und aus Frankfurt/Oder. Die Frage bleibt, wer verfügt über dann über das Sinnlich-Schöne?

Bis 9. Dezember, Haus der Berliner Festspiele, Schaperstraße 24, tägl. 16-20 Uhr, Eintritt frei, www.berlinerfestspiele.de/rusimport

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