Hazims Tod und das Scheitern der Intifada

Vor 25 Jahren begann im Gaza-Streifen der erste Aufstand der Palästinenser: Statt Demokratie brachte er neue Despoten

  • Fabian Köhler
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor 25 Jahren begeisterten Palästinenser mit ihrer Rebellion für ein selbstbestimmtes Leben die halbe Welt. Doch statt Demokratie bekamen sie neue Despoten - nicht die einzige Parallele zwischen Intifada (Aufstand) und dem zum politischen Winter erstarrten Arabischen Frühling.

Die Geschichte Hazim Al-Sissis klingt wie aus Ägypten oder Syrien: Mit Tausenden anderen demonstrierte der 17-Jährige gegenüber einem Armeestützpunkt gegen ein despotisches Regime. Sein Protest endete mit einer israelischen Kugel im Kopf. 25 Jahre ist es her, als er zum ersten »Märtyrer« der palästinensischen Intifada wurde und das Plakat mit seinem Porträt von Tausenden Hausfassaden zum Aufstand aufrief.

Die Zutaten des palästinensischen Prototyps des Arabischen Frühlings waren damals dieselben wie heute: soziale Not, gewaltsame Unterdrückung und fehlende politische Teilhabe. Hazim stammte aus dem Flüchtlingslager Jabaliya im Gaza-Streifen. Überfüllt mit perspektivlosen jungen Menschen, wie gemacht für den Geburtsort des palästinensischen Frühlings. Die israelische Besatzung prägte damals bereits seit 20 Jahren das Leben der Palästinenser im Westjordanland und im Gaza-Streifen. Für Zehntausende Palästinenser war die Arbeit in der israelischen »Zivilverwaltung« oder bei Unternehmen in Israel die einzige Erwerbsmöglichkeit: ohne rechtliche und soziale Absicherung und für Löhne, die meist nicht einmal der Hälfte vergleichbarer israelischer Arbeiter entsprechen.

War in Tunesien die Selbstverbrennung eines mittellosen Straßenhändlers Anlass für den Protest, reichte den Palästinensern ein Autounfall. Vier palästinensische Tagelöhner starben, als am 8. Dezember 1987 ein israelischer Armee-LKW ein palästinensisches Taxi rammte. Tausende Palästinenser kamen zur Beerdigung, Zehntausende demonstrierten. Israelische Soldaten schossen in die Menge. Palästinenser wie Hazim starben und trieben noch mehr Frustrierte auf die Straße. Spontan gegründete lokale Komitees übernahmen die Koordinierung der Proteste. Das Facebook jener Tage: Flugblätter, auf denen zu immer neuen Streiks, Demonstrationen und zur Einstellung von Steuerzahlungen aufgerufen wurde.

Über tausend Menschen starben in den vier Jahren der Intifada. 120 000 Palästinenser verschwanden zeitweise in den Gefängnissen der Besatzungsmacht. Verwackelte Videoaufnahmen von prügelnden israelischen Soldaten flimmerten in den ersten Monaten täglich über die Nachrichtenkanäle. In westlichen Ländern wurden Kufiya und palästinensische Nationalfarben zum Modetrend und die Intifada zum internationalen Medienereignis.

Der Aufstand war nicht erfolglos: Als »Sieg der Intifada« feierte der aus dem tunesischen Exil heimgekehrte Palästinenserführer Yasser Arafat am 1. Juli 1994 den Abzug der israelischen Armee aus Gaza. Doch die weitere Entwicklung erinnerte tragisch an aktuelle Ereignisse: Die palästinensische »Selbstverwaltung« entwickelte sich zum autoritären Regime, korrupt und undemokratisch.

Die wahren Gewinner regieren stattdessen 25 Jahre später auch in jenem Flüchtlingslager, in dem die Intifada mit Hazims Tod ihren Anfang nahm. Auf einem Flugblatt riefen auch die palästinensischen Muslimbrüder, die bisher nur für Moschee- und Schulbauten bekannt waren, am 8. Dezember 1987 erstmals zu Protesten auf. Das Akronym auf ihren Flugblättern: h-m-s für Hamas.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal