Bizarrer Angriff auf die Himmelsordnung

Sternbilder erzählen nicht nur mythische Geschichten, sie spiegeln auch Geschichte wider

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Sterne am Himmel sind völlig regellos verteilt. Dennoch waren unsere Vorfahren schon vor Jahrtausenden versucht, jeweils mehrere Sterne in Gedanken zu einprägsamen Mustern zusammenzufassen. Die Ureinwohner Nordamerikas taten dies ebenso wie die australischen Aborigines und die Babylonier, die einzelne Sternbilder zur Orientierung und zur Einteilung der Jahreszeiten nutzten.

Im dritten Jahrhundert v. u. Z. wurden die babylonischen Sternbilder von den Griechen übernommen und mit Namen und Figuren aus der damaligen Mythologie versehen. Davon künden zahlreiche Sternbilder bis heute: Herkules, Andromeda, Kassiopeia, Pegasus etc. Dass nach dem Zusammenbruch der antiken Kultur nicht auch deren astronomisches Erbe verloren ging, verdankt die europäische Wissenschaft hauptsächlich den Arabern. Diese überlieferten der Nachwelt unter anderem 48 griechische Sternbilder, die Claudius Ptolemäus in sein astronomisches Standardwerk »Almagest« aufgenommen hatte, das bis zum Ende des Mittelalters unangefochten gültig war.

Angesichts der geografischen Lage der euro-asiatischen Hochkulturen wurden seinerzeit vorwiegend Sternbilder des nördlichen Sternenhimmels berücksichtigt. Die Sternbilder der südlichen Hemisphäre kamen erst nach den großen Entdeckungsfahrten des 16. und 17. Jahrhunderts hinzu. Und obgleich die griechischen Sternbilder vordergründig der Mythologie entstammen, spiegelt sich darin auch die Lebenswirklichkeit ihrer Erfinder wider. »Bei der Schaffung der Sternbilder waltete keinesfalls Willkür«, bemerkt der Berliner Astronomiehistoriker Dieter B. Herrmann. Denn auch die Sagen des klassischen Altertums seien nichts anderes als dichterisch überhöhte Berichte und somit literarische Zeugnisse aus dem Leben alter Kulturvölker. So wurden etwa Meer und Schifffahrt von den Griechen durch die Sternbilder Fische, Wasserschlange, Delfin und Walfisch symbolisiert. Jagd und Landwirtschaft waren vertreten durch: Kleiner Hund, Stier, Widder, Großer Bär, Füllen, Pfeil, um nur einige zu nennen.

Mit dem Aufkommen des Christentums wurden die griechischen Sternbilder jedoch zum Problem. Es sei empörend, wetterte der Kirchenvater Hieronymus, dass man den Himmel mit lächerlichen und hässlichen Lügengeschichten von heidnischen Dichtern verleumde. Nachdem bereits im 6. Jahrhundert ein Bischof das Sternbild Schwan in ein christliches Kreuz verwandelt hatte, gab der deutsche Astronom und Augustinermönch Julius Schiller 1627 einen »christlichen Sternenatlas« heraus. Darin benannte er traditionelle Sternbilder um und erfand neue, um damit Figuren der christlichen Überlieferung zu symbolisieren. So sollten etwa an die Stelle der Sternbilder Großer Hund, Orion und Leier die Sternbilder »König David«, »Heiliger Joseph« und die »Krippe von Bethlehem« treten.

Doch Schillers Himmelsatlas konnte sich ebenso wenig durchsetzen wie der Vorschlag Giordano Brunos, die mythologischen Namen durch Begriffe wie »Tatkraft« (Perseus), »Klugheit« (Drache) oder »Einfalt« (Kassiopeia) zu ersetzen.

Als folgenreich erwies sich dagegen die Gewohnheit mancher Forscher, mit ihren Entdeckungen zugleich ihre adligen Gönner zu verewigen. Genannt sei hier als Beispiel der deutsch-britische Astronom William Herschel, der den 1781 gefundenen Planeten Uranus zunächst als »Georgium sidus« (Georgsstern) bezeichnete. Dies tat er, um den englischen König Georg III. zu ehren, der Herschel finanziell großzügig unterstützte.

Ähnliches wurde auch bei Sternbildern versucht. In Würdigung von Ludwig XIV. gab der französische Astronom Augustin Royer 1679 einem neuen Sternbild den Namen »Sceptre« (Zepter). Daraus machte ein Jahrhundert später der Berliner Astronom Johann Elert Bode »Friedrichs Ehre«, zum Gedenken an den gerade verstorbenen preußischen König Friedrich II. Beide Schöpfungen fanden jedoch keine Anerkennung. Heute wird das an gleicher Stelle befindliche Sternbild nach einem Vorschlag des Danziger Astronomen Johannes Hevelius als »Eidechse« bezeichnet.

Auch der britische Astronom Edmond Halley wollte als Mitglied der Royal Society seinem Herrscher, König Karl II. von England, ein Denkmal setzen und erfand das Sternbild »Karls Eiche«. Dieses hatte zwar einige Zeit Bestand, offiziell anerkannt wurde es jedoch nicht. Einen der letzten erfolglosen Versuche, den Sternenhimmel zu nationalisieren, unternahmen ein paar Offiziere im deutschen Kaiserreich. Sie stellten allen Ernstes den Antrag, das von den Griechen überkommene Sternbild Kassiopeia - wegen seiner Form auch Himmels-W genannt - fortan als »Wilhelms-Sternbild« zu führen.

Im Jahr 1922 setzte die Internationale Astronomische Union (IAU) solcherart Bemühungen ein Ende und veröffentlichte eine Liste von 88 Sternbildern, deren Grenzen drei Jahre später offiziell festgeschrieben wurden. Damit blieb für eine weitere Neuordnung des Himmels kein Platz mehr.

Ohnehin werde der Kosmos inzwischen mit modernen technischen Geräten und Raumsonden erforscht, schreibt Dieter B. Herrmann. Gleichwohl seien die Namen der Sternbilder eine stete Erinnerung daran, »dass die Astronomie eine sehr alte Wissenschaft ist, die den Menschen auf seinem Weg durch die Geschichte schon seit Jahrtausenden begleitet«.

Literaturempfehlung: Dieter B. Herrmann: Himmelsblicke. Ein Wegweiser durch das Sternenjahr für Einsteiger. CULTURCON Medien. 192 S., 14,95 € .

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