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Ohne Vorbild, aber: vorbildhaft

Kölner Wallraf-Richartz-Museum rekonstruiert die legendäre Sonderbundausstellung von 1912

  • Stefanie Stadel
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine geballte Ladung Moderne: Cézanne, Gauguin und van Gogh, Munch, Nolde, Heckel, Hodler ... Die internationale Kunstausstellung des Sonderbundes in Köln brachte 1912 um die 650 ihrer Werke zusammen. Reichlich Sprengstoff, der das konservative deutsche Kaiserreich in helle Aufregung versetzte. Die Organisatoren waren sich der Brisanz des Unterfangens wohl bewusst. Sie wollten die »vielumstrittene Malerei« ihrer Zeit nach vorn bringen, sie, gegen alle Widerstände, dem breiten Publikum verständlich machen. Längst ist die vielfältige Wirkung belegt und die Sonderbundausstellung als wichtigste Präsentation der europäischen Moderne in Deutschland verbrieft.

Was einst die Öffentlichkeit bewegte, versucht das Kölner Wallraf-Richartz-Museum, hundert Jahre nach der Großoffensive, zu rekonstruieren. Ein recherche-intensives, verdienstvolles Unternehmen. Gut drei Jahre hat es gekostet, jene Stücken ausfindig zu machen die 1912 gezeigt worden waren. 115 konnten für die Kölner Schau entliehen werden. Darunter Munchs »Amor und Psyche« und Gauguins »Tisch mit drei fressenden Hündchen«, die »Pietà« nach Delacroix von van Gogh, Ferdinand Hodlers »Entzücktes Weib« und, und, und. Spannend ist diese Retrospektive, und sie vermittelt eine Vorstellung davon, was auf Künstler, Sammler, Museumsleute wirkte, sie oft genug zum Umdenken brachte.

Im Zentrum stehen die damals schon vergleichsweise arrivierten Positionen - Picasso, Cézanne und allen voran van Gogh mit 15 Gemälden aus allen Schaffensphasen; vor hundert Jahren waren 130 zu sehen. Um die drei Heroen gruppiert sich die Avantgarde von 1912 nach Nationen sortiert. Klar, dass manch eine der damals ausgewählten Positionen aus dem Kanon herausgefallen ist. Und dass anderes, was sich später als wichtig erweisen sollte, in der Sonderbundschau fehlte - der italienische Futurismus etwa oder der Orphismus eines Robert Delaunay. Mit Blick auf die jüngsten Tendenzen aber scheint beachtlich, wie viel Maßgebliches damals schon erkannt und zur Anschauung gebracht worden ist.

Frankreich etwa ist mit Werken der Nabis dabei. Gefolgt von den wilden Bildern der Fauves. Österreich beeindruckt mit Egon Schiele, Oskar Kokoschka. Deren verzerrte, verrenkte Menschen stürben an ihrer eigenen Blutrünstigkeit, bevor man das Ausstellungsgebäude verlassen habe, wetterte 1912 ein aufgebrachter Zeitgenosse. Sicher nicht umsonst sorgte sich die Kölner Lokalpresse damals um die Ausstellungsstücke. Man müsse sie wohl vor Übergriffen schützen, hieß es da - »damit die Tollwut kein Lynchgericht an ihnen vollzieht«.

Mit Krawall war zu rechnen. Denn es reichte den Sonderbund-Machern eben nicht, sich von fortschrittlich gesinnten Insidern bejubeln zu lassen. Sie hatten es auch auf den in Kunstfragen konservativ denkenden Bürger abgesehen. Ihn für die Avantgarde zu gewinnen, hatten sie sich zum Ziel gesetzt. Das war neu, praktisch ohne Vorbild, wirkte aber in vieler Hinsicht vorbildhaft. So wurde die Sonderbundschau zum Prototyp der modernen Kunstausstellung, die mit didaktischem Ehrgeiz Zusammenhängen nachgehen will.

Kurz vor dem Abbau der Schau am 30. September 1912 sah man den US-Maler Walt Kuhn durch die Säle streifen. Er war ein Abgesandter eben jener amerikanischen Künstlervereinigung, die schon im Jahr darauf - dem Kölner Muster folgend - in New York die berühmte Armory Show ins Leben rief. Und die erste Documenta, die 1955 einen Querschnitt durch die Kunst der Gegenwart zog und sie dabei in einen konkreten Bezug zu Vergangenheit setzte - ganz wie es der Sonderbund vorgemacht hatte.

1912 - Mission Moderne. Die Jahrhundertschau des Sonderbundes. Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln; bis 30. Dezember.

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