Er ist der Richtige

Mit Peer Steinbrück wählt die SPD schon die Große Koalition

  • Marian Krüger
  • Lesedauer: 4 Min.

Peer Steinbrück hält nichts mehr auf, auch die SPD nicht. Wahlen hat er nie gewonnen. Dennoch riefen ihn vor zwei Jahren die »Bild«-Zeitung und andere Fachblätter sozialdemokratischer Politik zum Kanzlerkandidaten aus. »Bild« war von seinen »fulminanten« rhetorischen Fähigkeiten hingerissen. Das »Handelsblatt« stellte nach gründlicherer Untersuchung fest: »Steinbrück besitzt das Kanzlergen.« Nur die SPD sträubte sich; das alles sei »eine Phantomdebatte«, hieß es im Herbst 2010 im Willy-Brandt-Haus. Dann sank sie hin.

Steinbrücks Verdienste waren einfach überwältigend. In seiner langjährigen Tätigkeit als Landes- und Bundesminister hat er viel erreicht, nicht nur für sich selbst. Kämpfte für die bedrängten Stromkonzerne in NRW. Setzte sich für kreative Finanzjongleure und deren Erfindungen ein, indem er Kreditverbriefungen und börsennotierte Immobiliengesellschaften auch in Deutschland gesetzlich zuließ. Und auch, als den Banken in der Finanzkrise ein paar dieser »Innovationen« um die Ohren flogen, verlor er nicht den Mut, sondern eilte beherzt mit Milliarden aus dem Bundeshaushalt zu Hilfe. Ob RWE oder die Deutsche Bank - viele hatten etwas von ihm. Die SPD hat keinen besseren Mann für dieses Milieu als Steinbrück. Nicht nur deswegen ist er der Richtige.

Niemand kann bei der SPD Kanzlerkandidat werden, ohne zuvor von der herrschenden Klasse kooptiert zu werden. Das galt schließlich auch für Gerhard Schröder, als dessen politischen Erben und Fortsetzer sich Steinbrück sieht. Allerdings fallen hier bemerkenswerte Unterschiede auf. Schröder wollte die Macht, um sie auszuüben. Steinbrück interessierte sich für die Macht, um ihr zu dienen. Schröders Einstieg in die große Politik war auf den Konflikt mit den Autoritäten gebaut, Steinbrück baute auf deren Protektion. Schröder pflegte mit Hingabe sein linkes Image, gab in den 70ern gerne den »Antirevisionisten« in innerparteilichen Ideologiedebatten, posierte auf Demos. Steinbrück mied diese Untiefen. Ihn zog die höhere Beamtenlaufbahn magnetisch an und er wandelte still auf ihren Wegen, als kleiner Ministrant der Macht.

1986 machte der nordrheinwestfälische Ministerpräsident Johannes Rau Steinbrück zu seinem Büroleiter, während Schröder seinen ersten Anlauf auf das Ministerpräsidentenamt in Niedersachsen unternahm. Er scheiterte und wurde Oppositionsführer, um 1990 umso klarer zu siegen. In dieser Zeit erfüllte sich auch für Steinbrück ein Traum - der Traum eines jeden strebsamen Laufbahnbeamten. Björn Engholm machte ihn zum Staatssekretär. Wenig später wurde er in Schleswig-Holstein Minister und blieb es bis 1998. Dann holte ihn Raus Nachfolger Wolfgang Clement als Wirtschaftsminister nach NRW zurück. 2002 wurde Steinbrück, nicht ohne Zutun Schröders, dort selbst Landesvater. Was Johannes Rau übrigens mit dem Ausspruch »Wer so alles Ministerpräsident werden kann …« kommentiert haben soll. Raus Zweifel bestätigten sich, als Steinbrück 2005 die Wahlen in NRW mit einem so schlechten Ergebnis verlor, dass es für die SPD historisch genannt werden darf.

Bald darauf war er Parteivize, dessen kritischer Geist die SPD-Führung wie ein Blitz traf. Dort seien »Wortführer« unterwegs, notiert Steinbrück in seinem Werk »Unterm Strich«, deren »Einfluss in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zu ihren persönlichen Wahlergebnissen« steht. In dem Buch unterzieht er die SPD einer schonungslosen Analyse, die sich auch den Fehlern der Partei in der Zeit der Großen Koalition ab Herbst 2005 und den Ursachen der 23-Prozent-Wahlniederlage 2009 zuwendet. Aus Steinbrücks Sicht sind dies vor allem die schleichende Distanzierung von der »erfolgreichen Reformpolitik« der Agenda 2010 und die Absage an die große Koalition. Hinzu komme, dass man oft nicht auf ihn gehört habe. So konnte es mit der SPD nur weiter abwärts gehen.

Aber auch der Kanzlerin wirft er schwere Fehler vor. Angesichts der krisenbedingt schwachen Lohnentwicklung hätte es 2010 Nullrunden oder Kürzungen für die Rentner geben müssen. Den Verzicht darauf bereut Steinbrück gleich seitenlang. Man spürt förmlich, dass der Mann dies, nicht etwa die Finanzbeihilfen für IKB und HRE, für Gefälligkeitspolitik hält und darunter leidet. Aber nicht nur wegen der Rentner stecke der Sozialstaat im »Schraubstock«. Auch die unbezahlbaren Ansprüche von Hartz-IV-Leuten und Zuwanderern treiben Steinbrück den Schweiß auf die Stirn.

Das Verhältnis der SPD zu diesen Menschen bedarf aus Steinbrücks Sicht einer abschließenden Klärung. Sein guter Rat lautet: »Langzeitarbeitslose, gering qualifizierte Arbeiter und Gewerkschaftsmitglieder im Alter von Mitte 40 bis Ende 50« seien für die Partei ohnehin so gut wie verloren, weil sie den Sozialdemokraten die Agenda 2010 nicht verzeihen mögen. Wenn die Partei »den Kontakt zur Mitte der Gesellschaft nicht verlieren will«, sollte sie diese nachtragenden Gesellen besser gleich der LINKEN überlassen. Freilich weiß der Realist Steinbrück, dass Rot-Grün auf diese Weise keine eigene Mehrheit bekommt. Doch den Grünen war er noch nie besonders wohl gesonnen. Und schon bei der Bundestagswahl 2009 wollte er »die SPD mit einer Großen Koalition im Spiel halten« und platzierte diese Forderung gekonnt in der »Schlusskurve des Bundestagswahlkampfes«. Die Partei folgte ihm damals nicht. Damals fehlte noch die Beinfreiheit, das durchzusetzen.

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