nd-aktuell.de / 29.12.2012 / Kommentare / Seite 1

Die Ruhe zwischen den Stürmen

Gabi Oertel über die Linkspartei und die Herausforderung des Wahljahrs

Gabriele Oertel

Viele Mitglieder und Sympathisanten mögen es mit einer gewissen Erleichterung registriert haben, dass es um die Linkspartei in den letzten Monaten ziemlich still geworden ist. Nach den Eruptionen beim Parteitag in Göttingen zur Jahresmitte ist das Aufatmen nur allzu verständlich. Und durchaus bemerkenswert, dass es gelang, der Unkultur des gegeneinander Anschreiens mit einer Kultur des gegenseitigen Zuhörens zu begegnen. Zumindest konnte damit der freilich längst noch nicht beendeten Diskussion, wie groß oder klein der Anteil der jeweiligen Quellpartei in dem ein oder anderen Gremium ist, sein darf oder muss, die fast schon beängstigende Hysterie genommen werden. Das ist innerparteilich sicherlich eine Menge, lässt vielleicht auch die sich schon heftig die Hände reibende Parteienkonkurrenz ein wenig enttäuscht zurück - macht allerdings auf die Dauer die Partei nicht wirklich interessant.

Denn für Wähler ist weder ein heftig geführter Streit noch dessen Beilegung ein überzeugendes Argument, der LINKEN ihre Stimme zu geben. Das zeigen die - gemessen am letzten Bundestagswahlergebnis - abgängigen mindestens sechs Prozent von ihnen, die offenbar ihre Geduld mit der Partei irgendwann in den letzten vier Jahren verloren haben. Das gilt aber auch für die bislang in Umfragen beständigen sieben oder acht Prozent, deren Leidensfähigkeit nicht überstrapaziert werden sollte. Damit die einen zumindest teilweise zurückgewonnen werden können und die anderen nicht enttäuscht werden, brauchen potenzielle Linkswähler angesichts des längst begonnenen Wahlkampfes möglichst schnell ein überzeugendes politisches Angebot - und müssen also wissen, wohin und mit wem die Reise ab Herbst 2013 gehen soll.

Ein immer wieder neu versuchtes Bündnisangebot in Richtung Rot-Grün oder die zum soundsovielten Male wiederholte Betonung der Ostkompetenz der Partei reichen den Wählern genauso wenig wie die Beschwörung jedweder Kompromisslosigkeit und der Kampferfahrung in Tarifauseinandersetzungen. Ganz zu schweigen davon, dass auch die scheinbar unendliche Debatte darüber, ob Gregor Gysi allein, gemeinsam mit Sahra Wagenknecht oder einem ganzen Team um sich herum als Spitzenkandidat in den Wahlkampf zieht, irgendwann ihren Reiz verlieren.

Fest steht: Mit dem Eintritt ins Wahljahr 2013 hat die LINKE weder ein Wahlprogramm, noch gibt es Klarheit über die Spitzenkandidatur. Und zu fürchten steht, dass die Genossen sich wegen beidem gleich nach der Niedersachsen-Wahl Ende Januar wieder in die Haare geraten. Das muss aber gar nicht schlimm sein, wenn es diesmal tatsächlich um die besten Argumente wie um die besten Köpfe geht - und nicht um tagelang austarierte Formelkompromisse und nächtens übers Knie gebrochene Strömungsquotierungen. Ein echtes Ringen um jene Positionen, die die LINKE von allen anderen Parteien im Bundestag grundlegend unterscheidet - sei es bei der Ablehnung der Kriegseinsätze der Bundeswehr oder bei ihrem Engagement gegen die vorherrschende soziale Kälte im Land, sei es in ihrer Kritik an der fast grenzenlosen Macht der Banken oder bei der Aufklärung über die doch so begrenzte Krisenbewältigung der Kanzlerin - haben die Wähler immer goutiert. Weil sie bei einer echten Oppositionspartei Ruhe, jedenfalls in der Sache, mitnichten als erste Bürgerpflicht betrachten.