nd-aktuell.de / 02.01.2013 / Kultur / Seite 14

Was beglückt, kommt von woanders her

Das unmögliche nd-Interview: heute, zu Beginn des Richard-Wagner-Jahres, mit dem Komponistengenius des 19. Jahrhunderts

Berge Biografisches, Bayreuth mit Castorf – zum 200. Geburtstag von Richard Wagner (1813 – 1883) wird der Kulturbetrieb überborden. Anreißendes im fiktiven Interview: Wagner über Revolution, Kommunismus, Tierschreie und die Sonne

nd: Richard Wagner, 1848 gingen Sie, Kapellmeister in Dresden, in den Reihen des Volkes auf die Straße. Mit welcher Hoffnung?
Wagner: Dass die menschliche Gesellschaft durch die Tätigkeit ihrer Glieder, nicht aber durch die vermeinte Tätigkeit des Geldes erhalten wird.

Es stand also die Forderung nach Wahlreform und sozialer Gerechtigkeit. Von wem wurden Sie geleitet, sich einzumischen?
Gott.

Gott? Sie dachten …
… Gott würd' uns erleuchten, das richtige Gesetz zu finden, durch das dieser Grundsatz des Ehrenhaften in das Leben geführt wird. Wie ein böser nächtlicher Alp wird dann dieser dämonische Begriff des Geldes von uns weichen mit all seinem scheußlichen Gefolge von öffentlichem und heimlichem Wucher, Papiergaunereien, Zinsen und Bankspekulationen.

Sie sagten, man solle Staatsämter zu Ehrenämtern ohne Gehalt machen.
Man lasse sich nur von Männern regieren, gegen welche man die Verpflichtung der Dankbarkeit hat. Wahrlich, der Ehrgeiz würde dann keinen dem Glücke der Nation gefährlichen Dorn mehr haben.

Es kursierte parallel zu den Aufwallungen der Revolution auch der Begriff des Kommunismus. Wie interpretieren Sie ihn?
Mathematisch gleiche Verteilung des Gutes und Erwerbes.

Sie lehnen das ab.
Gedanklich fehlgeleitet der Plan.

Aber doch irdischer veranlagt als Ihr religiöser Ansatz, wie sagten Sie?, Gott werde »uns erleuchten«.
Das Resultat des Atheismus war auch nie ein andres, als dass er in ein System überging und zuletzt selbst eine Religion wurde.

Ist die Vermutung falsch, dass Sie letztlich einsahen, zu weich für den bewaffneten, den gnadenlos kriegerischen Umsturz zu sein?
Nicht Menschen unsrer Art sind zu dieser fürchterlichen Aufgabe bestimmt: wir sind nur Revolutionäre, um auf frischem Boden aufbauen zu können; nicht das Zerstören reizt uns, sondern das Neugestalten.

Der Künstler, der Intellektuelle.
Deshalb sind wir nicht die Menschen, die das Schicksal braucht - diese werden aus der tiefsten Hefe des Volkes entstehen; wir und unser Herz kann nichts mit ihnen gemein haben.

Ein Blick in Ihre Herkünfte: Ihre Mutter, von Ihrem Vater verlassen, machte sich um vier Jahre jünger, hübschte ihren Geburtsnamen von Pätz zu Perthes auf und - heiratete sich in die bürgerliche Gediegenheit ein. Aber Sie sprachen einmal von fehlender »mütterlicher Familienzärtlichkeit«.
Ich entsinne mich kaum je von ihr geliebkost worden zu sein, wie überhaupt zärtliche Ergießungen in unserer Familie nicht stattfanden.

Und der Stiefvater?
Ernst war ihm die Kunst, aber fröhlich das Leben. Er war die Seele eines geselligen Kreises von Freunden und Freundinnen, die der gastfreundliche Mann am liebsten bei sich selbst bewirtete und durch leicht aussprühende Witzfunken erheiterte.

Ihre Schwestern fielen durch schauspielerische Umtriebe auf.
Ja, so blieb mir alles, was zu theatralischen Aufführungen diente, geheimnisvoll, bis zur Berauschung, anziehend.

Gemeinsam mit Altersgenossen versuchten Sie in Ihrer Jugend, Aufführungen des »Freischütz« nachzuahmen.
Während ich mit Eifer mich der Herstellung der Kostüme und Gesichtsmasken durch groteske Malerei hingab, übten die zarteren Garderobengegenstände meiner Schwestern einen fein erregenden Reiz auf meine Fantasie aus.

Warum ist das so erwähnenswert?
Es nehmen die seltsamen Ursachen sich heraus, unser Gemüt zu formen. Trotzdem also dass, wie ich erwähnte, in unserem Familienverkehr keine Zärtlichkeit herrschte, musste doch die stets nur weibliche Umgebung in der Entwicklung meines Empfindungswesens mich stark beeinflussen.

Sie schrieben früh Tragödien, »Leubald« hieß die erste.
Der Plan war großartig, zweiundvierzig Menschen starben im Verlauf des Stücks, und ich sah mich bei der Ausführung genötigt, die meisten als Geist wiederkommen zu lassen, weil mir sonst in den letzten Akten die Personen ausgegangen wären.

Und wie hieß noch die Kneipe in Würzburg, wo Sie Chordirektor wurden?
Der »Letzte Hieb«.

Hieß wohl zu Recht so.
Ein auf anmutiger Höhe gelegener Biergarten - er ward ...

Allabendlich?
… fast allabendlich Zeuge meiner wilden, oft enthusiastischen Lustigkeit und Ausgelassenheit.

Betrunken nennt man das, oder?
Nie kehrte ich in den warmen Sommernächsten zurück, ohne über Welt und Kunst in sonderbare Ekstase geraten zu sein.

»Der Ring des Nibelungen«. Möglichst knapp: Worum geht's?
Um den Wechsel, die Mannigfaltigkeit, die Vielheit, die ewige Neuheit der Wirklichkeit und des Lebens anzuerkennen und ihr zu weichen. Dies ist Alles, was wir aus der Geschichte der Menschheit zu lernen haben: das Notwendige zu wollen und selbst zu vollbringen.

Klingt nach Existenz, die hauptsächlich aus Mühe und Disziplin zu bestehen habe.
Das beste ist, wir erkennen das Leben als eine Aufgabe, ein Pensum an; das, was uns daran entzückt, kommt von wo anders.

Nietzsche ist der Erste, der Sie einen musikalischen »Magier« nennt. Das ist Verweis auf spezielle suggestive Kräfte. Ist der Künstler ein Verführer?
Er gehört dem Geschlecht der Freien an, das sich die Erde mit anderen teilt.

Anderen Geschlechtern? Wie teilen Sie denn die Menschen ein?
Schale Gemüter wissen nur das, was geschieht; Begabte ahnen, was sein könnte; Freie bauen sich ihre eigene Welt.

Schillers Don Carlos klagte, das Leben rinne, und er habe noch nichts für die Unsterblichkeit getan. Der Dichter gestand, es sei seine eigene Klage. Ihr Credo in dieser Hinsicht?
Nichts für die Nachwelt! Alles für die Mitwelt und den Augenblick.

Immerhin: Es gibt Ihren Traum von Bayreuth, den Traum vom Festspiel des eigenen Werkes.
Kein Götzen-Ort. Nach der dritten Aufführung wird das Theater eingerissen und meine Partitur verbrannt. Den Leuten, denen die Sache gefallen hat, sage ich dann: Nun macht's auch so!

Es fällt auf, dass Tiefe und Dunkelheit Ihrer Kunst, das Heldische und Hingebungsvolle Ihrer Musik von enormem Pathos getragen werden, von der Hoffnung, die Dinge der Welt, befreit man sie von Gier und Geld, könnten gut ausgehen. Es gibt aber genügend Mahner, die das anders sehen.
Als wenn die Menschheit nicht immer die erste sein wird, die sich hilft! Nehmt ihr eure Gesetzbücher, Verfassungen, nehmt ihr zuletzt, worauf gleichsam alles ankommen soll, nehmt ihr euch selbst!, und die Menschheit wird fortbestehen. Sie wird alles ertragen und durch Felsen vom stärksten Granit noch immer einen Weg finden, der sie zu ihrem Ziele führt.

Wodurch entsteht Sinn?
Einzig durch Erweckung des Mitleidens im Menschen. Vor kurzem fiel mein Blick von der Straße in den Laden eines Geflügelhändlers; gedankenlos übersah ich die aufgeschichtete, appetitlich hergerichtete Ware, als, während einer beschäftigt war, ein Huhn zu rupfen, ein anderer soeben in einen Käfig griff, ein lebendes Huhn erfasste und ihm den Kopf abriss. Der grässliche Schrei des Tieres und das klägliche Jammern drang mit Entsetzen in meine Seele.

An unsere Gefühle müssen die Hebel der Aufopferung kommen?
Wir müssen wenigstens das erreichen, dass niemand eine ruhige Nacht hat, der einen glänzenden Palast mitten in einem Viertel bewohnt, wo Armut keine Lumpen hat, um ihre Blöße zu bedecken.

Wie kann der Mensch zum Erlöser der Welt werden?
Indem er überhaupt den Irrtum und den Wandel und die Brüchigkeit alles Daseins erkennt.

Richard Wagner, kurze Antwort bitte: Es ist am schönsten, dass …
… die Sonne weiblich ist.

Das Interview »führte«

Hans-Dieter Schütt

Alle Zitate: aus Schriften Wagners.