nd-aktuell.de / 04.01.2013 / Politik / Seite 6

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Neuer Rundfunkstaatsvertrag: Auch Blinde und Taube müssen GEZ-Gebühren bezahlen

Josef Bauer ist Bundesgeschäftsführer des Bundesverbands Rehabilitation (BDH). Dieser setzt sich für die Rechte neurologischer Patienten ein. Bauer und viele seiner Kollegen bei Sozialorganisationen, aber auch unter Politikern, kritisieren die neuen GEZ-Regelungen als weltfremd und beschämend. Denn seit Jahresbeginn müssen auch Menschen Rundfunkgebühren zahlen, die bis zu 95 ihrer Seh- oder 85 Prozent ihrer Hörkraft verloren haben. Mit ihm sprach Marlene Göring.

nd: Bisher berechtigte das Merkzeichen »RF« im Schwerbehindertenausweis zur Befreiung von den GEZ-Gebühren. Was ändert sich mit der Neufassung des Rundfunkstaatsvertrages 2013?
Bauer: Taubblinde Menschen, Empfänger von Blindenhilfe, Sonderfürsorgeberechtigte und Behinderte, die Sozialhilfe erhalten, sind auch künftig von der Gebühr befreit. Menschen, die gehörlos oder schwer sehbehindert sind, werden aber ab jetzt zur Kasse gebeten und erhalten lediglich eine Ermäßigung. Sie zahlen dann GEZ-Gebühren in Höhe von 5,99 Euro pro Monat.

Seh- und Hörbehinderte oder Demente können sich von der Rundfunkabgabe befreien lassen, wenn Sie auf Sozialleistungen angewiesen sind - genau wie Nicht-Behinderte. Was ist daran ungerecht?
Demenzkranke, Pflegebedürftige und Menschen mit eingeschränkter Seh- und Hörfähigkeit sollten vollständig von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Das ist unbürokratisch und wäre ein Schritt in die richtige Richtung zur Förderung der Inklusion in Deutschland. Man sollte die Befreiung nicht von der Zahlung staatlicher Transferleistungen abhängig machen.

Inwiefern verhindert die Neuregelung die Umsetzung der Inklusion, zu dem die UN-Behindertenkonvention den Staat verpflichtet?
Das oberste Prinzip erfolgreicher Inklusionspolitik ist die Umsetzung der Teilhabe für Menschen mit Behinderung in allen Bereichen unserer Gesellschaft. Dies gilt vor allen Dingen im Bereich der Kommunikations- und Informationsmedien. Deshalb sollte der Rundfunkstaatsvertrag den Prinzipien der Inklusion folgen und Menschen mit Behinderung keine Steine in den Weg legen, sondern einen freien Zugang zu allen Medien gewährleisten.

Die Rundfunkanstalten begründen die Änderung damit, dass ihr Angebot stärker barrierefrei gestaltet werden soll. Wie groß ist das barrierefreie Angebot bisher? Gehen Sie davon aus, dass es tatsächlich durch die neuen Zahler erhöht wird?
Die barrierefreien Programmangebote reichen definitiv nicht aus. Wir benötigen in der Gestaltung der Programme ein Bekenntnis der Sender zu mehr Inklusion. Das bedeutet: mehr Sendezeit für Hör- und Sehgeschädigte, eine breitere Angebotspalette von Sendungen mit Gebärdensprache und Audiodeskription. Das Internet bietet hier interessantes Anschauungsmaterial. Das, was im Netz möglich ist, muss wegweisend für den Bereich der konventionellen Medien sein.

Die Kritik an den GEZ-Änderungen für Behinderte ist groß. Gibt es die politischen Kräfte, um doch noch eine Rücknahme der Änderungen zu bewirken?
Ich bin mir sicher, dass die Kritik nicht ungehört verhallt. Die Ministerpräsidenten sollten sich dringend zusammensetzen und dieses Thema auf die Agenda nehmen. Niemand verliert etwas, wenn er an dieser Stelle einen Fehler zugibt und ihn korrigiert.