nd-aktuell.de / 07.01.2013 / Kommentare / Seite 4

Es gab nichts zu feiern

Christoph Butterwegge
Christoph Butterwegge ist Professor für Politik an der Uni Köln.
Christoph Butterwegge ist Professor für Politik an der Uni Köln.

Am 1. Januar sind die ersten beiden Hartz-Gesetze zehn Jahre alt geworden. Ihnen sollten zwei weitere folgen, die sich damals noch im parlamentarischen Entscheidungsprozess befanden und 2004 beziehungsweise 2005 in Kraft traten. Zusammen bildeten die nach Peter Hartz benannten Gesetze »für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« den wohl gravierendsten Eingriff in das deutsche System der sozialen Sicherheit seit 1945.

Die rot-grüne Arbeitsmarktreform führte zu einer Rutsche in die Armut: Nach der auf üblicherweise zwölf Monate verkürzten Bezugszeit des Arbeitslosengeldes bekommen Erwerbslose seither nicht mehr Arbeitslosenhilfe, sondern Arbeitslosengeld II, das treffender »Sozialhilfe II« heißen würde, weil es auch Erwerbstätige im Niedriglohnbereich erhalten und weil es das Niveau der Fürsorge nicht überschreitet. Nunmehr waren viele Menschen bloß noch eine schwere Krankheit oder eine Kündigung von der Armut entfernt. Neu war, dass auch früher mittels einer Lohnersatzleistung vor dem sozialen Absturz halbwegs Geschützte zum Kreis der Betroffenen gehörten.

Traf die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe besonders Ältere, die sie vorher bis zur Rente bezogen hätten, sind Familien, Kinder und Jugendliche die Hauptleidtragenden der relativ niedrigen Pauschalierung früher zusätzlich gewährter und nunmehr im Regelsatz aufgegangener Beihilfen. Sie leiden unter dem dadurch schlecht kompensierten Wegfall sogenannter wiederkehrender einmaliger Leistungen, etwa zur Beschaffung von Winterkleidung, zur Reparatur einer Waschmaschine oder zum Kauf von Schulbüchern.

Da die Forderungen der liberal-konservativen Bundesratsmehrheit weit über den von der Hartz-Kommission abgesteckten Rahmen einer Deregulierung des Arbeitsmarktes hinausgingen, SPD und Bündnisgrüne aber einen Konsens mit ihr anstrebten, wurde das Reformprojekt auch in seinen gar nicht zustimmungspflichtigen Teilen im Laufe eines langwierigen Vermittlungsverfahrens radikalisiert. Dies betraf die Ausweitung des möglichen Einsatzbereichs und die »Entbürokratisierung« der sogenannten Mini und Midijobs ebenso wie die Sanktionen (Kürzung und Streichung von Transferleistungen) und die Möglichkeit, Zeitarbeitnehmer schlechter zu entlohnen als die Stammbelegschaften der entleihenden Firmen.

Das stark an »Zuckerbrot und Peitsche« erinnernde Doppelmotto »Fördern und fordern«, unter dem Hartz IV steht, wurde praktisch nur in seinem letzten Teil eingelöst: Nie war der auf Langzeitarbeitslose und Geringverdiener ausgeübte Zwang größer, die Bereitschaft des Staates, Geld für deren berufliche Qualifikation, Fortbildung und Umschulung auszugeben, allerdings geringer ausgeprägt.

Die Hartz-Reform trug Züge einer sozialpolitischen Zeitenwende. Vor allem durch Hartz IV wurde das soziale Klima der Bundesrepublik vergiftet und ihre politische Kultur erheblich belastet. Heute wird das mit dem Namen von Peter Hartz verbundene Konzept den Ländern im Euroraum, die am schwersten von der Banken-, Schulden- und Währungskrise betroffen sind, als wirtschafts-, arbeitsmarkt- und finanzpolitisches Patentrezept empfohlen oder per »Fiskalpakt« oktroyiert. Ebenso wie die Absenkung des Rentenniveaus à la Riester (Teilprivatisierung der Altersvorsorge), Rürup (Einführung des »Nachhaltigkeitsfaktors«) und Müntefering (Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch Erhöhung des Renteneintrittsalters) ist das Lohndumping à la Hartz zum Exportschlager der Regierung Merkel geworden.